Architektur Forum Ostschweiz

Am Anfang stand ein Baum

Frauenfeld geht bei der Gestaltung seiner öffentlichen Räume neue Wege. Alleen spielen dabei eine wichtige Rolle. Wie vorbildhaft die Thurgauer Kantons­hauptstadt handelt, zeigt das bisher grösste Projekt, der Stadtpark Murgwiese.

Beitrag vom 18. Oktober 2014

Text: Gerhard Mack

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Frauenfeld ist eine grüne Stadt, und sie liegt im Grünen. Viele Strassen sind von Baumreihen gesäumt, in Vorgärten wuchern Büsche. Die Natur schiebt sich in Zungen in die Quartiere. Wieso braucht so eine Stadt ein eigenes Grün­raum­konzept? Und wieso soll ausgerechnet dieses zur Grundlage der stadt­räum­lichen Entwicklung von Frauenfelds Zentrum werden? Gerade deshalb, weil die Stadt so sehr mit der Natur, mit Bäumen und Wasser lebt, weil diese ihren Charakter prägen. Deshalb sollte sich diese nutzbar machen, wer Frauen­feld weiterentwickeln möchte. Zumal, wenn er der Über­zeugung ist, dass das Weiter­bauen von Stadt heute oft besser in kleinen Schritten voran­kommt als in wuchtigen Setzungen. Dialog zwischen Bestand und Neu­bauten ist das zentrale Stichwort.

Den Meitli-Brunnen ergänzt

«Stadtentwicklung ist oft Stadtreparatur, das Zurecht­rücken von etwas, das nicht ins Gefüge passt. Manch­mal genügt da schon ein einzelner Baum», sagt Thomas Hasler. Er hat sich mit Astrid Staufer der Fort­ent­wicklung derjenigen Stadt verschrieben, in der die beiden Partner und Hochschul- Professoren schon lange ihr ange­sehenes Architektur­büro betreiben. Ein Baum stand denn auch am Anfang einer Diskussion über eine Fort­entwicklung des öffentlichen Raums im Zentrum. Astrid Staufer ergänzte den Meitli-Brunnen in der historischen Altstadt mit einer Platane und einer Bank. Seither haben die beiden Brunnen-Mädchen einen Ort, an dem man gerne sitzt und den Passanten zuschaut.

Bäume dienen auch dazu, den historischen Ring wieder als Pracht­strasse zu beleben, wie sie im 19. Jahr­hundert rings um die Altstadt angelegt war. Von der Post über das Rathaus und die ehemalige Kantons­schule bis zum Regierungs­gebäude liegen alle repräsentativen Bauten an ihr aufgereiht wie die Perlen einer Halskette. Viele Eingriffe haben diese Klarheit über die Jahre hinweg aber verwischt.

Staufer & Hasler Architekten konnten die Ämter, die involviert waren, dabei unterstützen, Strassen­räume zu vergrössern und zu klären, damit Raum­reihen gepflanzt, die Allee der Promenade auf ihre historische Länge erweitert und der Raum vor dem prächtig renovierten Regierungs­gebäude zu einem Platz vergrössert werden kann, der ein Dach aus Platanen erhält. Überdies wurde der Botanische Garten erweitert. Während vieles davon noch in der Entwicklung steckt, konnte das bisher grösste Projekt des urbanistischen Grün­raum­konzepts bereits weitgehend umgesetzt werden: die Neu­gestaltung der Murg­auen zum Stadt­park Murgwiese. Der Fluss wurde nach dem Jahrhunderthochwasser von 1876 begradigt. Hinter einem Schutz­deich siedelte sich Industrie an. Später kam das Militär und nutzte das Gelände als Wald­kampf­bahn. Als es abzog, bat die Stadt Staufer & Hasler Architekten, über eine neue Nutzung nachzudenken. Die kleinen Armee­baracken verfielen. Ein alter Industrie­kanal verlandete. Das Areal war sich selbst überlassen. Hier sollte ein Nah­erholungs­gebiet für die Bevölkerung entstehen, das auch ökologisch sinnvoll war.

Von der Natur bestimmt

Die Architekten entwickelten ein Gestaltungs­konzept, das von der vor­handenen Natur bestimmt wurde, nicht von einer über­geordneten Geometrie, wie sie sonst oft Park­planungen bestimmt. Und sie über­setzten es in eine Vielzahl von kleinen Mass­nahmen, die alle vom jeweils zuständigen Dezernat in Eigen­regie durchgeführt werden konnten. Als Grund­lage diente ein Gelände­plan vor der Begradigung der Murg. Er zeigte nicht nur den ursprünglichen Verlauf des Flusses an, sondern erlaubte auch Be­rechnungen der Über­schwemmungen bei Hoch­wasser. Ein Teil des Dammes konnte abgetragen, die Murg durch eine Schlaufe erweitert und renaturiert werden. Das alte Fluss­bett hat man als Neben­lauf wieder­belebt, der mit dem Haupt­fluss eine bewaldete Insel einschliesst.

Ein schnurgerader Kanal

Wer vom Bahnhof her der Murg entlang schlendert, sieht heute hinter einem Schuppen mit einer kleinen Turbine das Wasser einen schnur­geraden Kanal entlang­fliessen, wie es Kanäle in unserer Phantasie überall tun. Fische über­springen die neu eingebauten Stufen. Der Weg, der den Wasserarm begleitet, wird zu den Häusern der nahen Siedlung hin von einer Reihe Kastanien gesäumt, die verdichtet wurden. Die ehemalige Allee wird wieder spürbar. Auf der gegen­über­liegenden Seite gewähren Cluster von Büschen und Hecken Durchblicke auf die an­grenzende Wiese.

Wo diese auf die Murg trifft, ist ein pavillonartiger Bau errichtet, der an Forst­architektur erinnert. Er steht an der Stelle der ehemaligen Militär­baracken und bietet preis­günstig neben Veranstaltungs­raum auch Küche und Kiosk. Von der grosszügig über­dachten Frei­fläche hat man einen grandiosen Blick auf die renaturierte Murg und die Kies­landschaft, die sich an Stelle des alten Dammes ausbreitet.

Der einfache Holzbau in dunklem Rot ist eine von mehreren Follies, die die Architekten entworfen haben. Vorbild dafür war unter anderem der Parc des Buttes-Chaumont, den Napoleon III. 1867 zur Welt­ausstellung in Paris eingeweiht hat. Der englische Landschafts­garten war ein Auftrag des Kaisers an den Architekten Haus­smann. Napoleon war im Thurgauer Schloss Arenen­berg aufgewachsen und hatte dort mit seiner Mutter Hortense den Garten angelegt. Den Architekten gefiel dieser Bezug. Für die Murgauen sahen sie auch einen Aussichts­turm im Waldstück und am Ende des Kanals eine Orangerie als Point de vue vor. Während beides Spar­mass­nahmen zum Opfer fiel, konnten immerhin drei von fünf Stegen realisiert werden, die von Jürg Conzett, dem führenden Brücken­bauer der Schweiz, entworfen wurden. Sie schlängeln sich durch den Wald, überwinden Senken und ermöglichen Spazier­gängern und Schülern Durch­querungen. Da, wo eine Brücke über den alt­neuen Arm der Murg eingespart wurde, hat man mit Fels­steinen eine Furt angelegt, die Kinder mit Freude dem breiten Steg in Sichtweite vorziehen werden.

Am Ende der kleinen Wald­insel, da, wo der neu installierte alte und der Haupt­lauf der Murg ineinander­fliessen, wird besonders deutlich erfahrbar, wie die Grünzungen in die Stadt hineingreifen und sie mit der um­liegenden Landschaft verbinden: Da setzt die dritte Brücke von Jürg Conzett den Wander­weg fort, der unter der Auto­bahn­brücke hindurch nach Ittingen zur Kartause führt.

Biber, Fische, Enten und Vögel

Bevor der Wanderer die Stadt verlässt, trifft er noch auf eine Stauung des Seitenarms: Hier hat ein Biber be­gonnen, eine Burg zu bauen. «Nicht, dass wir Öko­freaks wären», sagt Thomas Hasler. Dass die künstliche Szenerie der gestalteten Murg­auen aber nicht nur für die Menschen da ist, sondern auch zu einem neuen Hort für Tiere wird, das freut ihn jedoch sehr. Fische, Enten und Vögel sind von alleine gekommen. Hier kann man Tiere erleben, ohne Volieren zu bauen.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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