Architektur Forum Ostschweiz

Lob der Raumplanung

Die Materie ist trocken und kompliziert. Doch der Einsatz für eine hochwertige Planung von Dörfern, Quartieren und Städten lohnt sich.

Beitrag vom 31. August 2019

Text: Marcel Bächtiger

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Niemand weiss mit Sicherheit, welche demografischen, wirtschaftlichen oder ökologischen Veränderungen uns bevorstehen. Niemand weiss, wie die Ostschweiz in dreissig oder fünfzig Jahren aussehen wird. Trotzdem existiert vernünftigerweise die «Raumplanung», die gleichzeitig ein Fachgebiet und ein stetiges Politikum ist. Ihr Zweck ist die Planung des Raums – doch was sich einfach anhört, entpuppt sich in der Realität des helvetischen Politikbetriebs als komplizierte Angelegenheit. Zwischen dem Raumplanungsgesetz auf Bundesebene, den kantonalen Richtplänen und den kommunalen Nutzungs-, Zonen- und Gestaltungsplänen verliert der Laie schnell die Orientierung, zumal sie im Hin und Her zwischen den verschiedenen Akteuren immerfort angepasst werden müssen und sich deshalb in einer Art ewigen Revision befinden. Techno- und Bürokratie mögen hier ihre Hände mit im Spiel haben, doch weist die nie enden wollende Überarbeitung auch auf einen fundamentalen Wesenszug hin: Es geht bei der Raumplanung eben nicht nur um Raum, sondern auch um Zeit. Anders als bei ihrer Schwesterdisziplin, der Architektur, steht nicht das vollendete Werk im Zentrum des Interesses, sondern Prozesse, Entwicklungen, Szenarien – flexibel genug, um auf den Wandel der Zeitläufe zu reagieren, ohne dabei das grosse Ziel aus den Augen zu verlieren.

Dieses Phänomen bringt mit sich, dass Raumplanung – sei es im grossen Massstab einer ganzen Region oder im kleineren Massstab eines Ortes oder eines Quartiers – erst Jahre oder Jahrzehnte später überhaupt räumlich wirksam wird. Dass sie dies tut, lässt sich indes täglich und überall erfahren, im Guten wie im Schlechten: Weder das intakte Dorf noch die zersiedelte Agglomeration, weder die gewachsene Stadt noch das anonyme Villenquartier sind blosse historische Zufälle oder ökonomische Zwangsläufigkeiten. Hinter allem Gebauten und Nichtgebauten stehen Planungs- und Baugesetze, und hinter allen Gesetzen ein politischer Wille.

Elm – Beispiel für ein schönes Dorf

Wenn zum Beispiel Elm im Glarnerland noch heute «natürlich schön» ist, wie dies das Tourismusbüro zurecht betont, dann ist dieses Schöne nicht einfach naturgegeben, sondern verdankt sich auch dem bekannten Architekten Jakob Zweifel, der sich ab Mitte der 1950er- Jahre mit grossem Engagement für die Orts- und Regionalplanung in seinem Heimatkanton eingesetzt hatte. Der Wakkerpreis des Jahres 1981 «als Anerkennung für planerische, bauliche und rechtliche Massnahmen zum Schutze und zur rücksichtsvollen Entwicklung des Dorfes» ging zurück auf die Ortsplanung, die Zweifel im Auftrag der Gemeinde gut 25 Jahre vorher in Angriff genommen hatte. Zweifel ging es dabei aber nicht nur um den Erhalt des historischen Bauerbes, sondern auch um die Eingliederung moderner Bauten in das bestehende Ortsbild. Die planerischen Entscheide in Elm waren pointiert: Man scheute sich nicht, eine Wiese mitten im Dorf unter ein dauerndes Bauverbot zu stellen, ermöglichte aber gleichzeitig die Errichtung eines modernen Gemeindehauses. Zweifels Vorgänger und Mentor, der Glarner Architekt Hans Leuzinger, hatte hierfür das Credo vorgegeben: «Das gute Alte pflegen, das gute Neue fördern.»

Im Versuch, Heimatschutz und Modernisierung unter einen Hut zu bringen, gibt sich die Elmer Ortsplanung als ein Kind der Hochkonjunktur in den Nachkriegsjahren zu erkennen. Indem sie die Gegensätze von Alt und Neu als Teile eines räumlichen Ganzen interpretiert, taugt sie als Vorbild für die Raumplanung von heute, die der anhaltende Bauboom vor vergleichbare Probleme stellt.

Für Nichtfachleute kaum mehr zu durchschauen

Allerdings ist der Mechanismus der Raumplanung in der Zwischenzeit so komplex geworden, dass er für Nichtfachleute kaum mehr zu durchschauen ist. Die öffentliche Diskussion beschränkt sich deshalb häufig auf ideologische Grabenkämpfe. Einfrierung der Bauzonen, Landschaftsschutz oder Verdichtung sind zwar sinnvolle Anliegen, bilden aber nur den quantitativen Teil des Problems ab. Für einen sinnstiftenden, vielfältig erlebbaren und atmosphärisch reichhaltigen Lebensraum ist das Wie des Wachstums entscheidend – nicht nur in den zu verdichtenden urbanen Zentren, sondern gerade auch dort, wo Bauzonen existieren und wo über kurz oder lang auch gebaut werden wird: an den Rändern der Dörfer und kleinen Städte. Die kollektive, flächensparende, architektonisch ambitionierte Siedlung bleibt hier häufig planerisches Wunschbild, der Traum vom Eigenheim hingegen feiert fröhliche Urständ.

Doch auch das Einfamilienhausquartier muss nicht zwangsläufig mit einem Desinteresse an der Gestaltung des öffentlichen Raums einhergehen. Es braucht bloss den politischen Willen zu einer räumlich und sozial gedachten Planung. Zu beobachten ist dies beispielsweise im Quartier Breitfeld am südöstlichen Rand von Frauenfeld, wo sich die Stadt vor über zwanzig Jahren die Mühe gemacht hat, einen Wettbewerb für den Gestaltungsplan der neuen Siedlungsfläche auszuschreiben. Den gesellschaftlichen Realitäten wurde dabei durchaus Rechnung getragen: Gebaut werden sollte, was der Markt begehrte und der Stadtkasse gute Steuerzahler brachte. Dennoch lässt sich heute, wo die planerische Idee im Alltag angekommen ist, feststellen, was den feinen Unterschied ausmacht. Anders als beim konventionellen Einfamilienquartier, wo quadratische Häuser in der Mitte quadratischer Parzellen sitzen, gruppiert der Quartierplan fürs Breitfeld die Häuser entlang der Strassen, erlaubt dort kleinere Grenzabstände und spielt dafür grosszügige zusammenhängende Grünräume hinter den Bauten frei. Zusammen mit der raumbildenden Festlegung von Strassen und Gartenniveaus, dem Einsatz verschiedener Bodenbeläge und nicht zuletzt der grosszügigen Bepflanzung mit Bäumen gelingt dem prämierten Quartierplan von Staufer & Hasler Architekten (umgesetzt mit dem lokalen Ingenieur- und Planungsbüro bhateam) ein Wohnviertel mit eigenständigem Charakter und stabilen räumlichen Qualitäten. Es ist die Planung, die neben der Individualität des Einfamilienhauses das Ideal baulichen Gemeinsinns erlebbar macht: den Wert des geteilten Raums von Strassen, Gassen und Plätzen.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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