Sich heute mit dem Thema der City Beautiful Bewegung zu beschäftigen, könnte anachronistisch erscheinen. Haben unsere Städte nicht andere, dringlichere Probleme als jenes der Schönheit? Aber Schönheit ist, ernsthaft betrachtet, weit mehr als ein einnehmendes Bild; tatsächlich verfolgte die nordamerikanische Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde und 1909 im Plan für Chicago von Daniel H. Burnham und Edward Bennett ihren Höhepunkt fand, eine entsprechend komplexe Strategie.
Liest man den Plan mit zeitgenössischen Augen, entpuppt er sich zur Parabel, ja zum Lehrstück für eine moderne urbanistische Disziplin. Der Plan geht von einem klaren, umfassenden Programm für die Erneuerung und Entwicklung der Stadt aus. Er setzt dieses Programm interdisziplinär um: politisch, soziologisch, funktional, technisch, ökonomisch, rechtlich, administrativ und freilich ästhetisch. Er betrachtet die Stadt in ihrem grossmassstäblichen regionalen Zusammenhang. Er ist extrem langfristig angelegt und bewusst geschmeidig und anpassungsfähig. Er bleibt trotzdem nicht abstrakt, sondern definiert mit dreidimensionaler Präzision die öffentlichen Räume und teilweise auch die Architekturen. Er ist visionär, setzt sich aber gleichwohl intensiv mit der existierenden urbanen Struktur, dem baulichen Bestand und den politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnissen auseinander. Und er verkörpert ein städtisches Narrativ, das einen neuen urbanen Mythos beschwört und dafür einnehmend dargestellt, aufbereitet und vermittelt wird.
Vortrag von Vittorio Magnano Lampugnani, im Anschluss Podiumsdiskussion mit Anouk Kuitenbrouwer und Meghan Rolvien, moderiert durch Katrin Eberhard.
Eintritt CHF 10.– / Mitglieder AFO Eintritt frei
Gratis Studenten-Mitgliedschaft
Vittorio Magnago Lampugnani
Vittorio Magnago Lampugnani, 1951 in Rom geboren, studierte an der Sapienza und an der Universität Stuttgart Architektur. In den achtziger Jahren gestaltete er die Internationale Bauausstellung Berlin massgeblich mit. Später gab er in Mailand die Zeitschrift Domus heraus und war Direktor des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt am Main. Von 1994 bis 2016 hatte er den Lehrstuhl für Geschichte des Städtebaus an der ETH in Zürich inne. Seit 1981 führt er das Studio di Architettura in Mailand, seit 2010 in Partnerschaft mit Jens Bohm das Büro Baukontor Architekten in Zürich. Daneben lehrt er am GSD in Harvard und schreibt für die Neue Zürcher Zeitung. Zu seinen wichtigsten Projekten gehören der Novartis Campus in Basel, das Richti-Quartier in Wallisellen, der Untergrundbahnhof Mergellina in Neapel und das Geschäftshaus am Schiffbauplatz in Zürich; zu seinen wichtigsten Publikationen Die Modernität des Dauerhaften ( 1996 ), Die Stadt im 20. Jahrhundert (2010), Bedeutsame Belanglosigkeiten ( 2019 ) und Gegen Wegwerfarchitektur (2023).
Anouk Kuitenbrouwer
Anouk Kuitenbrouwer studierte an der Ecole d’Architecture Paris Belleville und St. Lukas Hogeschool in Brüssel, wo sie 1998 mit einem Masterplan für die Aufforstung Brüssel-Ost abgeschlossen hat. Während ihrer Tätigkeit bei West 8 in Rotterdam und Xaveer De Geyter Architects in Brüssel hat sie Erfahrung im multidisziplinären Kontext aufgebaut. Neben Architektur und Städtebau ist sie spezialisiert auf Entwurf und Entwicklung von öffentlichen Räumen und städtischen Infrastrukturen.
Anouk Kuitenbrouwer arbeitet seit 2006 bei KCAP, ist seit 2013 Associate und seit 2018 Partner. In dieser Rolle ist sie verantwortlich für städtebauliche Projekte in der Schweiz, Frankreich und Irland in diversen Massstäben und Kontexten. Seit Sommer 2022 ist Anouk Kuitenbrouwer als Dozentin für Raumplanung und Städtebau am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung (IRL) tätig und unterrichtet den internationalen Masterstudiengang Master Raumentwicklung und Infrastruktursysteme.
Meghan Rolvien
Meghan Rolvien schloss ihr Studium an der ETH Zürich mit einem Master in Architektur ab, der mit dem Heinrich-Hatt-Bucher-Preis ausgezeichnet wurde. Sie arbeitet als Architektin und Forscherin an der Schnittstelle von Theorie und Praxis, sowohl selbstständig als auch kollaborativ. Nachdem sie drei Jahre lang an der Professur von Arno Brandlhuber an der ETH lehrte und forschte, unterrichtete sie 2024 ein Entwurfsstudio als Teil von ZAS an der ETH. ZAS markiert nicht nur eine Opposition zu den offiziellen Stadtplanungsstrategien, sondern argumentiert diese auch mit transformativen Gegenvorschlägen. Das jüngste Projekt der ZAS* ist das Ämtli für Städtebau am Werdmühleplatz in Zürich, welches als Anti-Amt auftritt und sich mit der Zukunft von Zürich im Hinblick auf eine zunehmende Bevölkerungszahl beschäftigt.