Zwei Steine hier – eine Perlenschnur da
Die Black Box des Kunstmuseums Lichtenstein und der White Cube der Hilti Art Foundation in Vaduz sind präzis gesetzte städtebauliche Steine. Demgegenüber gliedern sich die Museumsbauten in Bregenz in eine urbane Perlenschnur ein.
Beitrag vom 23. April 2016
Text: Rahel Hartmann Schweizer
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Der Vergleich mit den «gegensätzlichen kosmischen Prinzipien des weissen, männlichen Yin und des schwarzen, weiblichen Yang», den Roman Hollenstein damals in der Neuen Zürcher Zeitung zog, ist bis in die Details treffend. Das Kunstmuseum, das moderne und zeitgenössische Kunst beherbergt, vollendeten Morger & Degelo zusammen mit Christian Kerez im Jahr 2000. Der dunkel glänzende Beton der Fassade des 60 Meter langen, 25 Meter breiten und 12 Metern hohen Baukörpers, besteht aus grünem und schwarzem Basalt sowie Untervazer Flusskies – eine Reverenz an den Ort, das heisst an das Rheintal.
Er wurde fugenlos gegossen, so dass die Fassadenflächen nur von den Fensterbändern durchbrochen werden. Die glatte Oberfläche, in der sich die Silhouetten der Umgebung spiegeln, verdankt sich veredelnden Arbeitsgängen: Das Material wurde geschliffen, poliert und imprägniert. Dies bewirkt auch, dass sich die körnige Textur des Betons zeigt, was ihm bei allem Hochglanz auch einen haptischen Aspekt verleiht. Im Innern jedoch verkehrt sich die «Black Box» in einen «White Cube» – die Art der Präsentation zeitgenössischer Kunst, die auf die 1920er- Jahren zurückgeht und bei der die Architektur sich in farbneutrales Weiss kleidet, um nicht in Konkurrenz zu den ausgestellten Kunstwerken zu treten.
Yin und Yang als Magnet
Der weisse Würfel, den Meinrad Morger und Fortunat Dettli für die auf die klassische Moderne spezialisierte Hilti Art Foundation 2008 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kunstmuseum entwarfen und vor knapp einem Jahr fertigstellten, kontrastiert nicht nur in seiner Farbigkeit zum bestehenden Bau, sondern auch in der die Vertikale betonenden Höhenentwicklung. Der Beton des 20 Meter hohen Würfels ist ein Gemisch aus Laaser Marmor, dunklem Rheinkies und Weisszement.
Die minimalistischen Baukörper bilden ein Ensemble, das nicht mit der Umgebung fraternisiert, sondern als in sich ruhender Pol ein Magnet im Stadtgefüge ist. Und man gewinnt den Eindruck, als wären die beiden immer schon da gewesen. In der Rückschau wundert es einen, dass man den weissen Würfel nicht schon vermisst hat, als es erst den schwarzen Quader gab – eben Yin und Yang.
Es ist eine Vervollständigung, die auch einen Effekt auf das nahe Regierungsviertel hat, das heisst auf die Beziehung zwischen der Museumsinsel und dem Geviert, in dem die politischen Instanzen tagen. Der weisse Würfel ist das Quentchen, dessen es bedurfte, um das städtebauliche Gewicht der beiden Ensembles auszubalancieren.
Davon profitieren auch die Bauten auf dem Peter-Kaiser-Platz – das von 1903 bis 1905 nach Plänen des Wieners Gustav Ritter von Neumann errichtete Regierungsgebäude und der 2008 eröffnete Landtag, bestehend aus Hohes Haus, Verbindendes Haus und Langes Haus, das der deutsche Architekt Hansjörg Göritz projektierte.
Wie Morger & Dettli bezog sich auch Göritz auf den Bestand – wenn auch in ganz anderer Weise. Er zollte den historischen Bauten Respekt – dem Regierungsgebäude, dem Verweserhaus und dem Rheinbergerhaus –, indem er seine Häuser Anleihen an tradierten Formen, Typologien und Materialien nehmen liess.
Aber nicht nur das. Göritz erwies auch einem Architekten die Reverenz, der in der jüngeren Vergangenheit in Vaduz Spuren hinterlassen hatte – Luigi Snozzi und seiner 1987 bis 1991 entworfenen Bebauung von Regierungsviertel und Pfarrei. Er adaptierte dessen den Hangfuss nachzeichnende langgezogene Sockelbebauung.
Im Gegensatz zu Snozzi, der dieses verbindende Element mit einem Solitär als Landtag kontrastierte, dessen halbkreisförmiger Grundriss die innere Sitzordnung aussen abbilden sollte, rückte Göritz sein Hohes Haus eher in die Nähe der so genannten analogen Architektur und distanzierte sich von der formalen Geste des Tessiners. Oder doch nicht ganz? Ist es nur Zufall, dass beim Blick aus den Arkaden der Liechtensteinischen Landesbank auf das Hohe Haus diesem aus dieser Perspektive ein Bogen einbeschrieben wird?
Eine städtebaulich präzise Setzung ist auch das Vorarlberg Museum in Bregenz von Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur, das vor knapp drei Jahren eröffnet wurde. Sie aber mussten den historischen Bestand unmittelbar einbeziehen und zwar in Gestalt der ehemaligen, 1902 bis 1904 von Hugo von Schragl erbauten Bezirkshauptmannschaft, dem sie einerseits eine kubische Aufstockung aufstülpten, andererseits einen Neubau angliederten.
Der Clou der Reverenz an den Altbau ist die Neuinterpretation des plastischen Bauschmucks. Die Betonfassaden, die wie Vaduz‘ weisser Würfel keine Fugen aufweisen, sind überzogen von einem lebhaften Dekor aus 16 656 Betonblüten, die auf Abgüssen der Böden von PET-Flaschen basieren. Die Veredelung des thermoplastischen Kunststoffs zur kleidsamen Hülle ist ein Verweis auf Museumsinhalte – keramisches römisches Tafelgeschirr aus der Sammlung – und kaum ein Kommentar zu den geätzten Gläsern des Kunsthauses von Peter Zumthor.
Schnur mit reichem Schmuck
Im Gegensatz zum polarisierenden städtebaulichen Konzept in Vaduz ist das Bild in Bregenz nämlich das der Perlenschnur, an der reicher Schmuck hängt: Neben dem Vorarlberg Museum das Landestheater und Peter Zumthors Kunsthaus (KUB) sowie das von Friedrich Setz 1893 bis 1895 erstellte Hauptpostamt, das sich zum Ausstellungsort für Kunst- und Kulturschaffende aus der Region mausert.
Es sind je spezifisch auf den Ort zugeschnittene Formen von Urbanität: zwei starke Steinsetzungen auf kleinräumigem, an den Steilhang geducktem Terrain in Vaduz, eine spannungsvolle Kette in der seit den Dreharbeiten zu Marc Forsters James-Bond-Streifen «Quantum of Solace» (2008) noch weltläufigeren Hafenstadt Bregenz.
Bildnachweis
Michel Canonica