Architektur Forum Ostschweiz

Von der Bronx St. Gallens zum begehrten Quartier

Lachen war für St. Gallen jahrzehntelang eine Problemzone. Seit geraumer Zeit wird das architektonische und städtebauliche Potenzial des Gebiets wiederentdeckt.

Beitrag vom 13. Dezember 2014

Text: Gerhard Mack

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Ein Paar wäscht sein Auto. Kinder spielen zwischen Häuserreihen. Beim Kebab verlädt man gerade Ware. Frauen schleppen Einkaufstüten aus Denner und Migros. Das Helvetia hat Schweizer Fähnli dekoriert. Junge Männer in Trainern stehend rauchend beisammen. Ein ganz gewöhnlicher Samstag­vormittag im St. Galler Lachen-Quartier. Die Menschen, die hier wohnen, sind bunt gemischt. Als «die Bronx von St. Gallen» hat Stadtbau­meister Erol Doguoglu das Quartier schon liebevoll bezeichnet.

Auch wenn oft die sozialen Probleme im Vordergrund stehen, erfindet sich in das Quartier gerade neu. Das hat zum einen mit seinem architektonischen Potenzial, zum anderen aber auch mit geschickten Inter­ventionen einer Stadtplanung zu tun, die Impulse lieber aufgreift, als sie von aussen aufzupfropfen.

Vom Feldli bis zum Burgweier

Das Quartier dehnt sich heute vom Feldli-Friedhof und dem Rosenberg­hügel im Nordosten bis zum Burgweiher-Areal im Südwesten. Zum Zentrum wird es von der Kreuzbleiche gefasst. Dort wurde das Bundes­verwaltungs­gericht als Justizias Wachturm aufgerichtet. Am anderen Ende im Westen dagegen verbreitet die Oberstufen-Schulanlage Schönau fast klösterliche Atmosphäre. Die Widersprüche des Quartiers sind auch architektonisch greifbar.

Das war nicht immer so. Historisch war Lachen ein homogenes Quartier. Die ersten Häuser waren einzelne Bauten entlang der Landstrasse nach Zürich. Sie lagen vor der Stadtgrenze St. Gallens. Eine dichte Besiedlung setzte erst ein, als die Stadt ab 1890 die Blüte der Stickerei-Industrie erlebte. Grund­stücks­spekulation und Wohn­bedürfnisse einer schnell wachsenden Arbeiterschaft führten zu einer raschen Ausdehnung von Lachen, das bis zur Eingemeindung 1918 noch zur Gemeinde Straubenzell gehörte.

Rechts und links der Zürcher Strasse entstanden parallel zur ihr einzeilige Hausreihen in kurzen Abständen. Durchmischt sind sie mit flachen Gewerbebauten. Grössere Anlagen wie Schulen oder der städtische Werkhof Waldau hat man an den Rand gelegt. Ein eigentliches Zentrum fehlt. In den fünfziger Jahren wurden Post, das erste Hochhaus St. Gallens und die Migros mit Arkadengang gebaut sowie die Zürcher Strasse erweitert. Hier deuten auch heute noch Geschäfte, Restaurants und Bus­halte­stellen so etwas wie einen Zentrumsersatz an. Gleichwohl trennt die viel befahrene Zürcher Strasse die beiden Quartierhälften eher, als dass sie sie verbindet.

In Lachen leben gemäss einer Volks­zählung von 2000 rund fünf Prozent oder 3500 Einwohner von St. Gallen. Über 50 Prozent stammen aus dem Ausland, ein Viertel ist jünger als 20 Jahre. Mehr als doppelt so viele wie im städtischen Durchschnitt gehören muslimischen Gemein­schaften an. Das Bildungsniveau liegt deutlich unter St. Galler Querschnitt. Die ehemalige Lage vor der Stadt spiegelt sich in den Sozialdaten.

Doch seit ein paar Jahren wird das Quartier neu wahr­genommen. Von hier aus ist man in kurzer Zeit am Bahnhof und im Zentrum. Die Mieten sind tiefer, die alten Häuser haben noch andere Schnitte, und viele Grün­flächen erlauben schnelle Erholung. Das ist attraktiv für junge Familien. Das Krügerpärkli an der Dürren­matt-Strasse verströmt New-York-Atmosphäre. Dazu kommt, dass ein Generationen­wechsel im Gang ist. Ältere ziehen oder sterben weg. An vielen Häusern weisen Schilder auf leere Wohnungen hin. Pensions­kassen und Immobilien­gesellschaften beginnen zu investieren.

Zufälliger Perspektivenwechsel

Dieser Perspektiven­wechsel aufs Quartier kam ohne grosses Zutun der öffentlichen Hand, eher zufällig zustande. Gleichwohl fördert die Stadt die Entwicklung mit sorgfältig gesetzten Impulsen. Dabei zeigt sich, dass vor allem die Auf­frischung historischer Substanz erfolgreich ist, während Neubauten bisher eher Fragen aufwerfen.

Am eindrücklichsten gelungen ist die Renovierung der alten Seifen­fabrik Suter, Moser & Co. an der Zürcher Strasse. Der Beton-Glasbau der St. Galler Architekten Baerlocher & Unger wurde in den fünfziger Jahren erstellt und über die Jahre verändert. Wehrli Architekten haben jüngst den ursprünglichen Beton wieder freigelegt, saniert und mit einem neuen Anstrich gegen Umwelt­einflüsse geschützt. Jetzt wirkt das Zeugnis einer lokalen Aneignung der Bauhaus-Moderne nicht mehr als Fremdkörper im Stadtteil, sondern strahlt mit seinen filigranen Metall­fenstern und ebenmässig gesetzten Beton­feldern als Juwel in ein heterogenes Quartier. Am anderen Ende des Spektrums liegt die historisch sorgfältige Renovation der alten Militär­kantine am Rand der Kreuz­bleiche durch Rüesch & Rechsteiner. Ein junges Team hat hier einen kleinen Hub für ein weltoffenes St. Gallen geschaffen. An den Koffern der Hotelgäste kleben Flugnummern von Städten aus der halben Welt.

Nicht unweit davon wurde das alte Schulhaus Lachen zum Rock-& Pop-Zentrum umgenutzt, nachdem die Schulanlage Schönen­wegen erweitert werden konnte. Die dezente Gestaltung der Fassade vermittelt zur umliegenden Bebauung aus dem frühen 20. Jahrhundert. Mit der Freilegung des Backstein­mauerwerks im Innern sorgte Architekt Daniel Cavelti für einen Grove, der zum rauen Sound passt. Dass die Stadt hier die jüngste Abteilung ihrer Musik­schule untergebracht hat, passt nicht nur besonders gut zum Quartier ausserhalb des klassischen Kultur­bezirks. Es grüsst über die Kreuz­bleiche auch zum neuen Kultur-Hub LOK.

Weniger glücklich sind dagegen zwei neue Wohn­überbau­ungen gelungen. Die Mehr­familien­häuser Vonwil-Park, die Baumschlager Eberle Architekten mit Back­stein­fassaden versehen und in klassisch moderner Manier als Würfel in offene Zwischenräume verteilt haben, verweben den Bestand nicht. Während die historische Block­rand­bebauung dem öffentlichen Raum klare Konturen gibt, ist zwischen Grasflächen und Lüftungs­rohren keine Energie zu spüren. Da wurde eine Chance vertan.

Anders misslingen die Mehr­familien­häuser an der Gerbe­strasse. Vier Betonblocks nach Plänen von PARK-Architekten sind zwischen alte Wohn- und Gewerbebauten gestemmt. Die engen Zwischenräume verfügen zwar über ein hohes urbanes Potenzial, dieses bleibt mit grossen Teerflächen aber gänzlich ungenutzt. Ein Schlafort für Yuppies, die morgens schnell auf den Zug nach Zürich wollen. Vielleicht würde den Planern künftig ein Blick auf die Schulanlagen Schönau und Feldli helfen. Die kürzlich renovierten Ensembles einer Schweizer Moderne überzeugen in ihrer Mischung aus grossen Volumen und sorgfältiger Detail­lierung auch heute noch. Die Vielfalt seiner Bauten ist es, womit das Lachen-Quartier neugierig macht. Sein Potenzial wird gerade entdeckt.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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