Architektur Forum Ostschweiz

Verspätung? Egal!

Das Warten auf den Bus in Ilanz ist gar nicht so schlimm, denn es gibt an der Halte­stelle einiges zu sehen. Wie ein «roter Faden» im öffent­lichen Raum sollen sich irgend­wann mehrere Bus­häuschen durch die Frak­tionen der Ge­meinde ziehen.

Beitrag vom 28. Mai 2025

Text: Corinne Riedener

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Als regelmässige Bus­fahrerin ver­bringt man schätzungs­weise mehrere Monate seines Lebens an einer Bus­halte­stelle. Ganz selbst­ver­ständlich hocken wir da, Tag für Tag. Wir erin­nern uns ver­mutlich bis heute, woraus die Bank des Bus­häuschens aus der Kind­heit war. Welches Mate­rial das Dach hatte. Ob die Seiten aus Glas oder offen waren. Als ästhe­tisches Nutz­objekt ver­stehen wir das Bus­häus­chen aber vermut­lich kaum, ob­wohl es eine ganze Reihe von As­pekten aus Archi­tektur, Stadt­planung, Design und auch der Sozio­logie in sich ver­eint.

Bushaltestellen sind primär funktio­nale Orte, die Schutz, Informa­tionen und in der heutigen Zeit zuneh­mend auch «smarte» Funk­tionen bieten sollen. Ihre Ge­staltung vari­iert aber je nach Klima, Gemeinde­grösse und Budget oder auch kultu­rellem Kon­text. In Skandi­navien etwa domini­eren minima­listische, eher ge­schlos­sene Formen, während in Teilen Latein­amerikas und Asiens farben­frohe und oft impro­visierte Bauten anzu­treffen sind. Und in der Stadt St. Gallen? Da streitet man sich über die Höhe der Warte­häuschen.

Mancherorts werden Halte­stellen gar zum Kunst­objekt erhoben. Ein promi­nentes Bei­spiel dafür aus der Boden­see­region ist das Projekt BUS:STOP im Bregenzer­wald. Die Ge­meinde Krum­bach hat 2010 sieben inter­natio­nale Archi­tektur­büros mit der Ge­staltung je einer Bus­halte­stelle beauf­tragt, darunter De Vylder Vinck Taillieu aus Belgien, Ensamble Studio aus Spanien, Smiljan Radic aus Chile und Sou Fujimoto aus Japan, welcher auch das 2022 er­öffnete Glas­gebäude SQUARE an der Uni­versi­tät St. Gallen (HSG) ent­worfen hat.

Kein Kunstobjekt, sondern eine Kon­struktion

Dass es gut auch eine Num­mer kleiner und lokaler geht, zeigt die Bündner Ge­meinde Ilanz/­Glion. Sie besteht seit 2014 aus zwölf dezen­tralen Frak­tionen und dem gleich­namigen städtisch geprägten Zentrum. Anfang 2022 hat der Gemeinde­rat unter den orts­ansäs­sigen Archi­tekt­:innen einen Ideen­wettbe­werb für die Neu­gestaltung der Bus­warte­häuschen aus­geschrieben. Diese sollten den «roten Faden durch die Ge­meinde ziehen und als ver­bindendes Ele­ment die Orts­bilder be­reichern». Vorge­sehen waren zehn Häuschen in sieben Frak­tionen.

Aus sechs Projekten wurde schlies­slich jenes von Fran­cesco Forcella aus­gewählt: Ein vom Strick­bau inspi­rierter, halb­offener Holz­unter­stand mit Sitz­gelegen­heit, variabel in Grös­se und Typo­logie. Sein Konzept lässt sich adap­tieren auf alle 13 Gemeinde­fraktionen, bisher steht aber erst jenes an der Halte­stelle Spital in Ilanz. Ein zweites an der Halte­stelle Frei­bad Schlifras in Ilanz ist in Arbeit, und 2026 soll voraus­sichtlich ein drittes in Siat ent­stehen. Alle werden von lokalen Hand­werkern und mit ein­heimischem Holz er­baut.

Sein Wartehäuschen sei «kein Kunst- oder Design­objekt», erklärt der ge­lernte Hoch­bau­zeichner beim Gang rund um die Halte­stelle. «Ich verstehe mich auch als Konstruk­teur.» Die Strick­bau­weise in Fichten­holz, die seinen Ent­wurf optisch aus­macht, ist typisch für die Region. Aber es steckt noch mehr darin. Abge­schlossen wird der Unter­stand von einem leicht ab­fallenden, aus­kragenden Dach. Dessen Kern ist eben­falls aus Fichte, aber um­rahmt von Stahl und abge­deckt von zwei Schichten Dach­pappe. Die Kon­struktion wurde mit Stahl­laschen und einer Stahl­platte im Boden statisch ver­stärkt – beides so gut wie unsicht­bar. Nur die Finken am Funda­ment und Schrauben in den Holz­pfeilern ver­raten, dass der feder­leicht wirkende, fast schwe­bende Holz­bau potenziell jedem Schnee­sturm stand­hält. Entwickelt hat Francesco Forcella die Statik in Zusammen­arbeit mit einem Zimmer­mann, einem Ingenieur und einem Modell­bauer.

Universell anwendbare Geborgenheit

Verbindende Ortsmerk­male gibt es in Ilanz wenig. Die Frak­tionen der Ge­meinde sind weit ver­streut und haben zum Teil eher den Charakter eines Weilers. Beim Spital Ilanz direkt an der Haupt­strasse, braucht das Häuschen Platz für mehrere Personen. Für kleinere Halt­stellen, etwa in Siat, sieht Forcellas Konzept kürzere oder ein­seitig anges­chlagene Vari­anten vor. Es gibt auch beid­seitige Varianten für Insel­situationen, wo der Verkehr an zwei Seiten des Warte­häuschens vorbei­führt. Selbst eine Variante, bei der sich die Wartenden ver­setzt gegen­übersitzen und unter­halten können, wurde an­gedacht.

Die Jury lobte Forcellas Entwurf als eine Lösung, welche die unter­schiedlichsten Bedürf­nisse erfülle. Sowohl Material­wahl als auch Konstruk­tions­weise seien «nahe­liegend und identi­täts­stiftend». Das uni­ver­sell an­wend­bare System sei zu­dem auch «gestal­terisch über­raschend und neu­artig». Damit werde es «als der er­wünschte rote Faden, also als Er­kennung der Zusam­men­gehörigkeit in­nerhalb der Ge­meinde Ilanz ge­lesen werden».

Forchella freut sich über dieses Lob. Als Architekt stand für ihn das möglichst äs­thetische Gefüge aus Pro­portion und Konstruk­tion im Vorder­grund. «Aus jedem Blick­winkel er­gibt sich ein neues Bild», sagt er und lacht. «Den Warten­den wird so schnell nicht lang­weilig. Dann macht es auch nichts, wenn der Bus ein­mal ein bis­schen Ver­spätung hat.» Das Stich­wort zu einer weiteren Kompo­nente, die ihm auch als Privat­mensch und öV-Mitbe­nutzer, wichtig war, nicht zuletzt auf­grund des zum Teil garstigen Wet­ters in der Surselva: «Die Leute sol­len sich in meinen Häuschen wohl, einiger­massen ge­schützt und ge­borgen fühlen.»

Bildnachweis

Ladina Bischof

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