Verdichtung am richtigen Ort
Frauenfeld macht es vor: Die Wohn- und Geschäftsüberbauung Hauptpost von Staufer Hasler Architekten zeigt, wie qualitativ hochstehende Verdichtung an innerstädtischer Lage funktioniert.
Beitrag vom 2. März 2019
Text: Christoph Wieser
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Voraussetzung für eine erfolgreiche bauliche Verdichtung ist ein kluger Städtebau. Dieser gewichtet Gebäude und Freiräume gleichermassen. Denn je knapper die Abstände und je höher die Baukörper, desto bedeutsamer werden die Zwischenräume und die Art, wie die Gebäude zueinander in Beziehung stehen. Damit ist nicht nur ihre volumetrische Ausbildung gemeint, sondern auch, wo die Eingänge liegen, die Fenster platziert und wie öffentliche und private Bereiche aufeinander abgestimmt sind. Des Weiteren ist die Gestaltung des Aussenraums bis zu den Bodenbelägen von grosser Bedeutung.
Im Fall der Wohn- und Geschäftsüberbauung Hauptpost in Frauenfeld kommt eine weitere Komponente hinzu: der Umgang mit dem Terrain. Weil die Strasse auf der Zugangsseite abschüssig verläuft und der Höhenunterschied zum rückwärtigen Teil zwei Geschosse beträgt, stellte die Ausbildung des Sockels eine Herausforderung dar. Staufer Hasler Architekten gestalten den Übergang zwischen Gebäude und Stadt als räumlich ansprechende, funktional komplexe Schnittstelle. Bindeglied ist eine Arkade mit hellem Terrazzobelag, die Öffentlichkeit symbolisiert und der Poststelle, dem Geschäft sowie den Wohnungszugängen und der Treppe zum Hof als gedeckte Vorzone dient. Gleichzeitig befindet sich hier eine Bushaltestelle.
Beim angrenzenden alten Postgebäudevon 1898 ist der Sockel in Form einer massiven, bossierten Mauer ebenfalls wichtiges Thema und geht vis-à-vis vom Schloss in eine halbrunde, platanenbestandene Terrasse über. Diese wird vom frisch eingemieteten Restaurant als Gastgarten benutzt und bildet eine räumliche Klammer zum neu erstellten Aussenplatz an der nordwestlichen Stirnseite des Neubaus, der die Fläche zum angrenzenden Gebäude einnimmt. Ebenfalls mit Terrazzo-Platten belegt, kann der Zwischenraum vom Café im Rhyhof bespielt werden.
Altstadtring nach Wiener Vorbild
Eine grosse Qualität der neuen Überbauung, die mit der Sanierung und Umwidmung der alten Hauptpost als Gesamteingriff geplant wurde, besteht in der sorgfältigen Stadtanalyse und den daraus abgeleiteten Massnahmen. Wie an vielen Orten, wurde auch in Frauenfeld im 19. Jahrhundert nach Wiener Vorbild die Altstadt mit einem Ring stattlicher Einzelbauten und breiteren Strassen umgeben. Zusammen mit dem Schloss und dem Rathaus entstand eine Abfolge, zu der auch das Postgebäude gehört. Mit seiner markanten Kuppel bildet es den Auftakt der Rheinstrasse. Diese alte Verbindung nach Kurzdorf wurde 1848 begradigt und dammartig aufgeschüttet. Auf der stadtabgewandten Seite, wo das Terrain zur Murg abfällt, kamen mit der Kantonalbank und dem Rhyhof weitere Kuben hinzu, die den Strassenraum fassen und damit die Geländekante räumlich festigen. Spätere Erweiterungen des Rhyhofs und der Post lagerten sich im rückwärtigen Bereich an.
2009 gewannen Staufer Hasler einen Wettbewerb, bei dem die Posterweiterung durch einen Büroneubau ersetzt werden sollte. Das Projekt wurde bis zum Gestaltungsplan weiterentwickelt, ruhte dann ein paar Jahre und bildet nun die Basis der heutigen Lösung. Indem die Architekten den Altbau wieder freistellten, den betroffenen Fassadenabschnitt rekonstruierten und den Neubau als Zförmiges Volumen an der Rheinstrasse verankerten, tragen sie der ortsbaulichen Geschichte Rechnung. Gleichzeitig entstand eine räumliche Verdichtung, weil der neue Gebäudekörper eine grössere Höhe aufweist. Leider wird im rückwärtigen Teil das kantige Volumen durch die Attika etwas aufgelöst, ist aber über die zweigeschossige Ausbildung und Betonung der Vertikalen in das Gliederungssystem der Fassade eingebunden.
Atelierartig grosse Wohnräume
Bei erneuter Planungsaufnahme hatte sich die Situation verändert: Die Auftraggeber wünschten sich nun mehrheitlich Wohnungen. Die vom Gestaltungsplan vorgegebene Volumetrie war jedoch auf Büros zugeschnitten, so dass unkonventionelle Lösungen gefragt waren, insbesondere im vorderen Bereich entlang der lärmigen Strasse. Das Resultat sind teils hallen- oder atelierartig grosse Wohnräume, die von den unüblichen Geschosshöhen profitieren und mit einem Unterzug gegliedert sind.
Kernelement jeder Wohnung ist eine Abfolge von Küche, Wintergarten und kleinem Balkon, die den Wohnbereich erweitert. Der Wintergarten, der zum Balkon vollständig geöffnet werden kann, erzeugt mit ihm zusammen einen geräumigen, aber intimen Aussenbereich an diesem dicht bebauten, innerstädtischen Ort. Umgekehrt sind die mehrheitlich korridorlosen Grundrisse so angelegt, dass die Fensterflächen über Zwischentüren möglichst zusammenhängend und damit grosszügig erfahren werden. Denn – das ist das Positive der engen Nachbarschaft – die Ausblicke sind überraschend vielfältig, oft wie ein Schaufenster zur Stadt oder gehen im hinteren Gebäudeflügel ins gewerblich geprägte Bleicheareal.
Zweifarbiger, warmtoniger Betonboden
Zur Wohnlichkeit trägt die sorgfältige Materialisierung bei. Die lasierten Holzfenster sind mit einem zweifarbigen, warmtonigen Betonboden kombiniert, der in den halböffentlichen Zugangsbereichen geschliffen ist. Ebenso robust und hochwertig ist der Gebäudeteil zur Stadt in gestocktem Sichtbeton ausgeführt, dessen gelbliche Farbe vom Zuschlag aus Kalkstein herrührt und die Farbstimmung vor Ort aufnimmt. Rückwärtig kam eine glatt verputzte Aussendämmung zum Einsatz. Zur vertikalen Gliederung der Fassaden sind zwischen den Fenstern zweigeschossige Streifen in einem etwas dunkleren Ton und mit rauerem Korn angeordnet. Ebenso wurde strassenseitig um die Fenster ein schmaler Bereich glatt belassen, so dass auch hier eine feine, geschossübergreifende Massstäblichkeit entsteht.
Der neue Stadtbaustein gibt der Rheinstrasse mit seiner Farbgebung, den stehenden Fensterformaten, der Arkade und den Terrazzoböden einen südländischen Akzent und der innerstädtischen Verdichtung ein qualitätsvolles Gesicht.
Bildnachweis
Hanspeter Schiess