Architektur Forum Ostschweiz

Trouvaillen im Tal

Beim Bau des Ateliers von Popart-Künstler Jim Dine im Sitter­tal wurde vieles wieder­ver­wendet. Nebst Bau­teilen auch eine Idee der femi­nistischen Schweizer Archi­tektin Berta Rahm. Christoph Flury und Lukas Furrer haben einen fried­lichen Ort zum Arbeiten und auch zum Baden ge­schaffen.

Beitrag vom 6. Februar 2025

Text: Corinne Riedener

  • Bild zum Beitrag Beim Bau des Ateliers wurde vieles wiederverwendet. Nebst Bauteilen auch eine Idee der feministischen Architektin Berta Rahm. Die Architekten schufen einen friedlichen Ort zum Arbeiten und Baden.
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  • Bild zum Beitrag Im Zuge des Bauprojekts wurde das historische Badhaus neben dem Atelier instandgesetzt.
  • Bild zum Beitrag Das grosse Glas-Tor stammt aus einem Abbruchhaus, die Stahlkonstruktion, in die es eingesetzt ist, beschafften die Architekten aus Rotterdam.
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  • Bild zum Beitrag Die Fassade besteht aus Furalblech – eine Hommage an die Architekturpionierin und Frauenrechtlerin Berta Rahm.
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Das grosse Stahltor ist ein Erbstück der Land­wirtschafts­messe Olma, die Dusch­wanne war ein Schnäp­pchen auf Ricardo und die Küchen­fronten aus den 1960er-Jahren stammen vom Zürcher Architekten Ernst Gisel. Im Atelier des US-ameri­kanischen Künstlers Jim Dine im St. Galler Sitter­tal gleich neben der Kunst­giesser­ei trifft aller­hand Altes auf Neues. Errichtet wurde die Halle von den Archi­tekten Christoph Flury und Lukas Furrer und dem Bau­team der Kunst­giesserei. Teil des Projekts war auch die Instand­setzung des histo­rischen Bad­hauses samt Schwimm­becken unmittel­bar daneben. Beides wurde im Sommer 2023 fertig­gestellt. Flury+Furrer, die «Haus­architekten» der Kunst­giessser­ei und der Stifung Sitter­werk, haben sich speziali­siert auf Sanie­rungen und Re-Use, also das Bauen mit wieder­verwer­teten Teilen. Sie ver­stehen das Bauen als Kreis­lauf und wollen sich inspi­rieren und reiben am Be­stand.

Das Thema Re-Use im Bau­wesen ist virulent, aller­dings erst wieder seit ein paar Jahren. Wieder­ver­bauen kann man fast alles; Küchen, Bäder, Fenster und Türen, aber auch Holz­balken, Fassaden­elemente oder ganze Stahl­konstruk­tionen. Zentral dabei sind der scho­nende Um­gang mit Res­sourcen und die Er­haltung der grauen Energie. «Früher hat man uns noch belächelt für diesen An­satz, heute lädt man uns zu Vor­lesungen ein», sagt Lukas Furrer beim Gang durch die Halle. «Ich hoffe, es ist nicht nur ein Hype.» Die Idee der Wieder­ver­wertung sei uralt, aber im moder­nen Bau­wesen sei die syste­matische Wieder­ver­wertung von Material erst im Kommen. Er selbst ist mit dieser Haltung auf­ge­wachsen. Sein Vater war Architekt im Wallis und als Bub war er oft mit auf dem Bau. «Da habe ich gelernt zu arbeiten, mit dem, was da ist.»

Flury+Furrer haben Glück. Ihr kleines Architektur­büro liegt in einem Hinter­hof am Zür­cher Escher-Wyss-Platz, aber «Haus­architekt» Lukas Furrer ver­bringt seit 25 Jahren jede Woche einen Tag im Sitter­tal. Hier gibt es Platz und «die Offen­heit für das Planen am Tatort». Über die Jahre haben sich die Archi­tekten zusam­men mit der Kunst­gies­serei einen beträcht­lichen Fundus an ge­brauchten Bau­materi­alien aufgebaut, die sonst in der Mulde gelandet wären. Andere haben diesen Lager­luxus nicht und müssen sich die «alten» Teile von Fall zu Fall besorgen. Die Suche danach ist bis­weilen müh­sam, davon kann auch Lukas Furrer ein Lied singen, denn es gibt noch keine Bau­teil­börsen im gros­sen Stil, wo man sich zum Bei­spiel mit aus­ge­bauten Fenstern, Türen, Heiz­körpern oder Fassaden­ver­kleidungen eindecken kann. Das meiste läuft über Netz­werke, Zu­fälle, Busch­telefone.

Fundstücke von nah und fern

Im Atelier von Jim Dime wurden ein paar echte Trou­vaillen ver­baut. Besonders stolz ist Lukas Furrer auf die vier Schwing­flügel­fenster mit den runden Ecken an der Süd­fassade. Jahre­lang hat er sie be­wundert an einem Büro­haus neben seiner täg­lichen Velo­strecke in Zürich. Eines Tages standen sie zur Ent­sorgung bereit auf einem Holz­palett am Weg­rand. Furrer hat sofort den Bau­leiter aus­findig ge­macht und die Fenster ge­schenkt bekom­men. Das war vor bald zehn Jahren. Heute ver­leihen sie der Halle einen einzig­artigen Charak­ter. Sitzt man oben in der Galerie und blickt durch das ab­gerun­dete Fenster ins offene Feld, fühlt man sich ein bis­schen wie in einem Zug, der zufällig gerade im Sitter­tal stecken­geblieben ist und demnächst wieder in die Ferne dampft.

Ganz aus der Nähe hingegen kommt das wunder­bare creme­farbige Lavabo unten in der Halle. Es war jahr­zehnte­lang in der Badi Rot­monten im Ein­satz. Flury und Furrer haben es 2023 im Rahmen der Sanierung des Frei­bads de­montiert. Auch die Boden­däm­mung hatte eine kurze An­fahrt. Sie stammt vom Flach­dach einen alten Werk­hallen­dachs auf dem Fabrik­gelände. Und nicht zuletzt das ein­gangs erwähnte Glas-Tor an der Stirn­seite der Halle, durch das einst hundert­tausende Olma-Gäste strömten. Ein richtiger Glücks­fall: Es passte wie eine Mass­anferti­gung ins Loch.

Das war alles andere als selbst­ver­ständlich, denn auch die Kon­struktion, welche das Tor um­gibt, hatte schon ein Vor­leben. Mit diesem Stahl­skelett aus Rotter­dam hat alles an­gefangen. «Wir dachten, wir kaufen eine Halle, doch es waren nur die Schienen und Stützen einer aus­gedien­ten Kran­anlage», erzählt Furrer und lacht. «Ein Skelett eben.» Heute bildet es das Grund­gerüst des Atel­iers und bestim­mt dessen Form. Statisch ver­stärkt wurden die Stahl­stützen mit Trägern aus Brett­schicht­holz. Diese stam­men von den ab­ge­brochenen Pavillons von Benedikt Huber an der ETH Höngger­berg. Christoph Flury und Lukas Furrer be­stel­lten gleich mehrere Camions davon mit vielen wei­teren Bau­teilen.

Hommage an Berta Rahm

Abgeschlossen wird die Atelier­halle von einem Shed­dach. Es ist allein das Werk der beiden Archi­tekten und sorgt für opti­male Arbeits- bzw. Licht­ver­hältnisse, ob­wohl die Fläche der Halle für ein Shed­dach eigent­lich eher klein ist. Die Wahl der Dach­kon­struktion hatte vor allem statische Gründe. Das kleine Fachwerk für die Fenster­bahn wirkt wie ein Zug­band und sorgt so für mehr Stabi­lität. Wind und Schnee können also kommen.

Nicht rezykliert ist auch die Hallen­fas­sade aus Aluminium­blechen. Wobei das nur die halbe Wahr­heit ist, denn die Idee ist nicht neu. Erfunden wurde die Fassaden­ver­kleidung in den 1950er-Jahren von einem Herr Furrer unter dem Namen Fural­blech. Die in St. Gallen geborenen Archi­tektin und Frauen­recht­lerin Berta Rahm hat diese geniale Neu­heit virtuos in einem ihrer Bauten ein­gesetzt: Man montiert einfachste ge­zackte Blech­streifen an der Lattung der Aussen­wand. Dann rollt man die auf­ge­rollten Alu­minium­bleche darauf ab und die schwalben­schwanz­förmigen Wellen müssen nur noch ein­klicken, Welle für Welle. «Ähnl­ich wie ein Reiss­ver­schluss», erklärt Lukas Furrer. «Alles ohne eine Schraube oder einen Nagel – und ohne ein Loch im Blech».

Es war eine zu­fäl­lige Wieder­ent­deckung. Das Archi­tekten-Duo war wegen eines eben­falls im Sittertal wieder­ver­wendeten Mock­up-Pavillons von EMI Archi­tekten an der ETH und stolperte dort in eine Aus­stellung über den SAFFA-Pavillon von Berta Rahm. Diesen hatte sie für die Schwei­ze­rische Aus­stel­lung für Frauen­arbeit (SAFFA) 1958 ge­plant und er­richtet, und er war mit eben­diesen Fural-Alu­minium­bändern ver­kleidet. Flury und Furrer schauten sich das System noch ein­mal ge­nauer an und waren be­geistert von des­sen Einfach­heit und Wieder­ver­wend­bar­keit.

Rahm war eine der ersten selb­ständigen Schwei­zer Architektin­nen. Trotz zahl­reicher Aus­zeichnungen er­hielt sie nie einen öffent­lichen Auf­trag. In den 1960er-Jahren zog sie sich ent­täuscht aus der män­nlich domi­nierten Bau­branche zurück und gründete in Zürich einen femi­nistischen Ver­lag. Dank Christoph Flury und Lukas Furrer lebt nun zu­mindest eines ihrer archi­tekton­ischen Kon­zepte in St. Gallen weiter. Die silbernen Bahnen schmie­gen sich um den Bau, als hätte es nie eine andere Option ge­geben, nur unter­brochen von einem Fenster­streifen, der den Blick auf das gegen­über­liegende Bad­haus freigibt. Das Alu­minium spiegelt sich im Wasser des Schwimm­beckens. Ein friedlicher Ort. Und ein guter Ort zum Ar­beiten, hier, wo so viel Altes auf Neues trifft.

Bildnachweis

Elisa Florian

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