Architektur Forum Ostschweiz

Sensible Fügung

Mit der neuen Gemeinde­kanzlei in Urnäsch hat das Archi­tektur­büro Staufer & Hasler ein pass­ge­naues Stück Dorf ent­worfen. Sie gliedert sich mit an­grenzen­dem Wohn­haus und Kanzlei­platz in das ge­schützte Orts­bild ein – und zeigt sich erst auf den zwei­ten Blick als Neu­bau.

Beitrag vom 30. Mai 2024

Text: Nele Rickmann

  • Bild zum Beitrag Die neue Gemeindekanzlei und die dahinterliegende Kirche bilden aus Richtung Herisau kommend den Auftakt zum historischen Dorfkern von Urnäsch.
  • Bild zum Beitrag Die von Staufer & Hasler entworfene Gemeindekanzlei fügt sich gut zwischen die Bestandsbauten ein: Erst auf den zweiten Blick ist sie als Neubau zu erkennen.
  • Bild zum Beitrag Fassadengliederung und Farbgebung wurden den Nachbarbauten angeglichen.
  • Bild zum Beitrag Der repräsentative Erschliessungsraum ist gänzlich in Rot gefasst.
  • Bild zum Beitrag Urnäschs Zentrum mit traditionellen Holzhäusern ist als schützenswertes Ortsbild von nationaler Bedeutung inventarisiert. Hier ein historisches Gebäude zu ersetzen, war eine grosse Herausforderung.
  • Bild zum Beitrag Das rustikale Ambiente des Vorgängerbaus wurde aufgegriffen, jedoch in einer modernen Interpretation. Farbakzente in Weiss und Rot gliedern die Räume.
  • Bild zum Beitrag Der Gemeindesaal wird von einem raumgreifenden Tonnengewölbe in hellem Blau geprägt, das ihm eine besonders repräsentative Wirkung verleiht

Das Ende der histo­rischen Gemeinde­kanzlei in Urnäsch wurde 2015 end­gültig be­siegelt: Zwei von­einander unab­hängige Fach­gutachten bestätigten bau­liche Mängel, die sich bereits ein paar Jahre zuvor ab­ge­zeichnet hatten. Das dazumal fast 400 Jahre alte Pfarr- und Rat­haus wurde als statisch in­stabil ein­gestuft. Auch ener­getisch war das nach dem Dorf­brand im 17. Jahr­hundert errichtete und seit 1960 als Gemeinde­kanzlei ge­nutzte Bau­werk nicht mehr zu ertüch­tigen. Darauf­hin waren sich die zu­ständigen kanto­nalen Stellen wie auch die Denk­mal­pflege einig: Das histo­rische Ge­bäude muss ab­gerissen werden. Keine leichte Ent­schei­dung, denn der Orts­kern von Urnäsch, der sich aus Kanzlei, Kirche und Dorf­platz mit an­grenzenden Wohn­häusern in tradi­tio­neller Holz­bau­weise zusam­men­setzt, gilt als ge­schütztes Orts­bild von natio­naler Be­deutung.

Ein Ersatz­neu­bau an gleicher Stelle musste das Pro­blem lösen und der Ge­meinde­kanzlei ein zeit­gemäs­ses Raum­programm bieten. Nach Süden hin sollte dieser mit einem Mehr­familien­haus er­gänzt werden. Um Rat bat man darauf­hin die Hoch­schule für Technik und Wirt­schaft in Chur. Unter Christian Wagner, Professor für Archi­tektur und Leiter des Bereichs Orts­bild­ent­wicklung und Siedlungs­planung am Institut für Bauen im alpinen Raum, wurde eine Studie zur Volu­metrie und Orts­bild­verträglichkeit erar­beitet. Anschlies­send wurde ein Projekt für den Neu­bau der Gemeinde­kanzlei und das südseitige Wohn­haus mit gemein­samer Tief­garage aus­geschrieben. Den Auftrag erhielt 2017 das Frauen­felder Architektur­büro Staufer & Hasler.

Die neue Kanzlei und sechs Monate später auch das Wohn­haus konnten 2022 be­zogen werden. Seit­her vermitteln die Neu­bauten zwischen histo­rischem Kon­text und zeit­genös­sischen An­forderungen. Mit Erfolg, denn Urnäsch erhielt als «schönste Gemeinde» mit Fertig­stel­lung der neuen Bauten noch im selben Jahr die Aus­zeichnung «Schweizer Dorf des Jahres».

Urnäscher Holz und Handwerk

Erreicht man aus Richtung Herisau das Zentrum von Urnäsch, bildet die Gemeinde­kanzlei mit dahinter­liegender Kirche den Auf­takt zum histo­rischen Dorf­kern. Der Neu­bau unter­scheidet sich in seinem Volumen nur un­wesentlich von seinem Vor­gänger. Das Dach, die Fassaden­gliederung und die Farb­gebung wurden den benach­barten Ge­bäuden an­geglichen. Die Fassade der Kanzlei, holz­getäfelt und hell gestrichen, bildet mit der weis­sen Kirche nun ein Ensemble öffent­licher Bauten, das sich klar von den farbigen Wohn­häusern der Um­gebung ab­setzt.

Der neu­gestaltete Dorf­platz zwischen Kirche und Kanzlei unter­stützt als öffentlicher Raum diese Ver­bindung. Von dort aus gelangt man über eine schmale Treppe auf das topo­grafisch niedriger gelegene Niveau des Kanzlei­hofs, welcher die Gemeinde­ver­waltung auf ihrem untersten Geschoss mit dem neuen Mehr­familien­haus verbindet. Die darunter­liegende Tief­garage ist für beide Nutzer­schaften über das Wohn­haus zu­gänglich und bildet einen gemein­samen Beton­sockel, auf dem die Neu­bauten in Holz­bau­weise aufsitzen.

Als öffentliches Gebäude re­präsentiert die Kanzlei die Gemeinde Urnäsch am Fusse des Säntis. Da die Region über die Jahr­hunderte von Forst­wirtschaft und Holz­bau geprägt wurde, hat man besonderen Wert auf die Ver­wendung von lokalem Holz aus den Urnäscher Wäldern gelegt. Neben öko­logischen Aspekten be­kräftigte die ge­zielte Förderung des regio­nalen Hand­werks die Ent­scheidung, den Neu­bau der Kanzlei in Ständer­bau­weise aus Voll­holz durch­zuführen.

Ortsbezüge bis unters Dach

Die Wichtig­keit des Holzes kommt auch im Inneren des Neu­baus zum Ausdruck. Das rustikale Am­biente des Vor­gänger­baus wird auf­gegriffen, aber modern interpretiert. Die Bohlen­decken und Holz­ver­täfelungen an den Innen­wänden bleiben un­verputzt sicht­bar, weisse und rote Farb­akzente gliedern die Räume. Der ge­mein­same Er­schliessungs­raum auf allen Büro­geschos­sen ist sogar gänz­lich in roter Farbe ge­fasst und ver­leiht dem Gemeinde­zentrum vor allem im Erd­geschoss, wo dieser als zentraler Empfangs­raum fungiert, eine re­präsentative Eingangs­situation. Um die zentrale Erschliessungs­zone mit Treppen­haus und Auf­zug gliedern sich je nach Geschoss vier bis sechs Büro­räume, die durch einen Verbindungs­gang an beiden Stirn­seiten des Gebäudes mit­einander ver­bunden sind. Diese funktio­nieren so un­abhängig von den Wegen der Besuchen­den und können flexibel ge­nutzt werden.

Gänzlich anders ist das Dach­geschoss ge­gliedert, denn hier be­findet sich das Herz­stück der Kanzlei: der Gemeinde­saal. Er erstreckt sich über die gesamte Breite des Gebäudes und bis unter das Dach. Ein von den Archi­tekten bewusst in hell­blauer Farbe insze­niertes, raum­greifendes Tonnen­gewölbe versteckt hier nicht nur die Unter­seite der Dach­konstruktion, sondern lässt den Gemeinde­saal auch repräsentativ hervor­stechen. Hohe Fenster lassen weite Aus­blicke auf die Um­gebung und den histo­rischen Dorf­platz von Urnäsch zu. Um den Gemeinde­saal gliedern sich ein Besprechungs­raum, Magazin, Küche und WCs. In farbigen Ober­lichtern spiegeln sich die Farb­nuancen des Urnäscher Dorf­platzes wider. Hier – an fast höchster Stelle, kurz unter dem First – wird der Bezug zum Kon­text, der histo­rischen Substanz und dem Urnäscher Orts­bild noch einmal auf­gegriffen.

Bildnachweis

Ladina Bischof

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