Schwitzen fern vom Alltag
Die Weieresauna in St.Gallen ordnet sich dem historischen Bestand und der Landschaft unter und ist ein intimes Sauna-Gesellenstück.
Beitrag vom 17. April 2021
Text: Jenny Keller
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An einem klirrend kalten Wintertag, an dem kleine Nebelschwaden mystisch aus dem im Volksmund genannten Hexenweiher aufsteigen, stärkt und wärmt der Besuch der Sauna nicht nur den Körper, sondern auch die Seele. Nach dem Eintritt durch das Hauptportal dieser hölzernen Burg, befindet man sich in einem unbeheizten, holzverkleideten Vestibule, wo das Ritual mit dem Wechsel der vom Waldboden verdreckten Strassenschuhe in bequeme Saunalatschen beginnt. Danach folgt der eigentliche Empfang in der beheizten, verglasten Veranda mit Kassenhäuschen und kleinem Bistro. Dieser verglaste Einbau stellt neben zwei neuen Saunaräumen, einem Ruheraum und den Umkleidekabinen mit Duschen auch schon den architektonischen Eingriff an diesem Ort dar.
Als extravagante Ausnahme unter den zurückhaltenden Interventionen steht das Kassenhäuschen, ein gleichschenkliges Dreieck mit einer gezackten Kupferverkleidung in der Mitte der Veranda und trennt Kaffeebar von Besuchersitzplätzen. Die Theke besteht aus Terrazzo, einem Kunststein, der mit der lokalen Nagelfluh verwandt ist. Sie bildet als Raumtrenner den Auftakt zu einer räumlichen und dem Saunagang verpflichteten Abfolge, die durch die Architektur choreografiert wird. Wer nicht kurzsichtig ist, kann in der Oberfläche der Theke eine Abstraktion des winterlichen Waldbodens am anderen Ufer des Weihers erkennen. Auf dem Freudenberg von St. Gallen liegen die «drei Weieren». Mehrere künstlich angelegte Teiche, die als Wasserspeicher für den Fall eines Brandes in der mittelalterlichen Stadt angelegt wurden und später die Mühlräder antrieben. Heute ist es ein Naherholungsgebiet, das zur Erfrischung rege aufgesucht wird im Sommer. Einst gab es geschlechtergetrennte Weiher und Badehäuser, und auch heute noch ist ein Bereich des Familienbads am Kreuzweiher, erstellt Ende des 19.Jahrhunderts, ausschliesslich den Frauen vorbehalten.
In diesem Badehaus befindet sich neu eine coronabedingt noch kaum genutzte Sauna, für dessen Entwurf Barão Hutter aus St. Gallen verantwortlich zeichnen. Die Architekten haben den Ablauf in einer Sauna zum entwurfsgebenden Thema erhoben. Vielleicht gerade deswegen, weil weder Ivo Barão noch Peter Hutter regelmässige Saunagänger sind. Sie nahmen für den Entwurf die Sicht eines neuen Gastes ein. Die Signaletik ist wichtig, von Hand austauschbar: Auf Holzleisten mit Zarge sind die Umkleiden nach Geschlecht oder die Saunatemperaturen angeschrieben. Ausserdem arbeiteten die Architekten mit Themen wie Chorografie und Prozession: Aus der verglasten Veranda, dem Panoptikum gemäss Hutter, hat man beste Sicht auf die gesamte Anlage, jetzt wäre noch Zeit, umzudrehen, falls man jemanden sieht, mit dem man lieber nicht nackt schwitzen möchte, die Chefin beispielsweise oder den ehemaligen Lehrer.
Qualität durch Architekturwettbewerb
Dass es überhaupt so weit kam, dass das Frauenbad auch im Winter offen ist, und Männern den Eintritt gewährt, ist der privaten Initiative von zwei saunabegeisterten Quartierbewohnenden und zwei Mitgliedern des Frauenschwimmvereins zu verdanken: Sie haben den Projektwettbewerb, den die St. Galler Kantonalbank zu ihrem Jubiläum ausschrieb, zum Anlass genommen, ihre schon lange schwelende Idee zu Papier zu bringen. Die Idee der Sauna fand Anklang und mit der finanziellen Unterstützung von 100’000 Schweizerfranken wurde eine Genossenschaft gegründet und ein Architekturwettbewerb auf Einladung durchgeführt. Die Stadt St. Gallen unterstützte die Genossenschaft mit einem Darlehen und einem Baubeitrag, viele kleine Beiträge der Genossenschafterinnen und Genossenschafter und ein Crowdfunding führte zur weiteren Finanzierung und zu einer breiten Abstützung und Rückhalt für das Projekt.
Einfühlen statt ausstrahlen
Die Tatsache, dass ein Architekturwettbewerb für ein privates Projekt sicherstellte, dass man aus fünf Ideen, die für diesen Ort und diese Aufgabe passendste findet, ist bemerkenswert und beispielhaft. Mit dem Entwurf von Barão Hutter gewann nicht das spektakuläre Gebilde auf dem Weiher, sondern die sorgfältige Einfügung in den Bestand und die Landschaft. Das gesamte Badehaus wird in den Saunagang miteinbezogen, damit sich niemand zu nahekommt. Einer maximalen Offenheit zur Landschaft steht eine maximale Introvertiertheit gegenüber. Das siegreiche Architekturbüro war sich aber auch bewusst, dass der Nutzungsdruck hier im Naherholungsgebiet «Drei Weieren» hoch ist, ihre Intervention ist deshalb sehr subtil und auf den ersten Blick kaum auszumachen. Trotz scheinbar feinem Eingriff war es aufwendig, die nun nicht sichtbare Technik, die für eine Sauna benötigt wird, an diesem Ort, einem zuvor kalten, ungedämmten Haus, unterzubringen. Mit Erdsondenwärme werden die pragmatisch in den kalten Bestand reingestellten Saunen erhitzt. Die Veranda und die beiden Umkleidekabinen wurden gegen innen aufgedoppelt und gedämmt. So viel wie möglich wurde aus Holz gefertigt, im Gegensatz zur Fichte der Umkleiden – und der Duschen – besteht der Innenraum der Saunen aus Linde. Sie sind keine Standardlösung, sondern eigens für diesen Ort entworfen. Die Dimension der Linde bedingt die Grösse, die gesuchte Intimität führte nicht zur Lösung mit einem Panoramafenster, sondern einem verglasten Dach im Ruheraum und zwei Kaleidoskopen aus Kupfer, durch die man in das Dach des historischen Badehauses blickt.
Die Architekten interessieren sich für Dinge fern des Alltags, in die sie sich vertiefen und sie arbeiten gerne mit ungewöhnlichen Nutzungen. Als Generalisten möchten sie sich nicht einer Bauaufgabe verschreiben. So kann es gut sein, dass die Weieresauna die erste und letzte war von Barão Hutter.
Bildnachweis
Hanspeter Schiess