Architektur Forum Ostschweiz

Schattenseiten und Chancen von Pop-ups

Der Lockdown führte zu leeren Ladenlokalen, begünstigte aber auch Flächen für Pop-ups. Zwei Beispiele in Diessenhofen und in Chur.

Beitrag vom 8. August 2020

Text: Susanna Koeberle

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Das Wort Pop-up ist in aller Munde, «aufzupoppen» scheint heutzutage im städtischen Umfeld das Gebot der Stunde zu sein. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist ein allgemeiner Strukturwandel im Einzelhandel. Das Ladensterben, das auch auf die wachsende Verlagerung des Handels in den Online-Bereich zurückzuführen ist, bewegt viele Hersteller und Händler dazu, neue Wege zu gehen. Wer verkaufen will, muss in erster Linie Aufmerksamkeit generieren und diese ist durch ein plötzliches Auftauchen garantiert. Ein Pop-up-Store ist ein geeignetes Tool zur Imagepflege und wird meist als Ergänzung zu bestehenden Verkaufsplattformen eingesetzt, etwa um ein neues Produkt zu lancieren oder einen Standort zu testen. Ein weiterer Vorteil von Pop-up- Formaten ist, dass sie günstiger sind als eine fixe Ladenmiete. Zudem entsprechen sie durch ihr temporäres Bestehen der heutigen schnelllebigen Kultur, in der Flexibilität quasi zum Pflichtprogramm gehört – was umgekehrt bedeutet, dass Verbindlichkeit in der Regel möglichst gering gehalten wird.

Diese Situation hat auch ihre Schattenseiten, denn angesichts der aktuellen Situation zum Beispiel sind viele Geschäfte in eine prekäre Lage geraten; der Lockdown bedeutet vor allem für kleinere Läden das Aus, was wiederum zu noch mehr Leerstand von Ladenlokalen führen wird. Und zu neuen Flächen für Pop-ups. Die Leerstandaktivierung durch temporäre Projekte ist für Immobilienbesitzer eine attraktive Lösung. Als Scharnier zwischen Anbietern und Suchenden funktionieren Online-Marktplätze. Das Forschungsprojekt «Pop Up City» etwa – eine Kollaboration zwischen der FHS St. Gallen, der NTB Buchs, Popupshops.ch, der Stadt St. Gallen und der Stadt Zürich – lanciert im Juli 2020 eine digitale Plattform, die Anbieter von Räumen und interessierte Firmen zusammenbringt; Ziel ist ein effizientes «Matching».

Pop-up auf dem Land

Auch aus ökologischer Sicht können mobile und flexible Architekturen sinnvoll sein. Sie können sowohl bei bestehenden Bauten wie auch im öffentlichen Raum mit wenig Materialaufwand in kurzer Zeit aufgestellt und wieder abgebaut werden. Allerdings stellt sich dabei die Frage nach der Wertschöpfung für die Allgemeinheit, denn die Nutzung von öffentlichem Raum zu kommerziellen Zwecken im urbanen Kontext kann langfristig den Prozess der Gentrifizierung fördern. Nicht zu unterschätzen ist das Aussehen solcher Architekturen. Wenn der Fokus auf maximaler Rentabilität liegt, geht die Ästhetik nämlich häufig vergessen. Die Pflege der Baukultur ist auch bei temporären Bauten wichtig. Viele Marken bieten für ihre Boutiquen bekannte Baukünstlerinnen und Baukünstler auf, doch es geht auch bescheiden – und dennoch optisch ansprechend.

Im Idealfall verbinden sich die positiven Faktoren von Pop-up-Projekten zu einem Erlebnis, das sowohl Verbraucherinnen und Verbraucher für Themen sensibilisiert als auch für Umsetzende auf verschiedenen Ebenen profitabel ist. Interessanterweise finden Pop-up-Konzepte auch in ländlichen Gegenden Anklang. So macht etwa Thurgau Tourismus mit mehreren temporären und mobilen «Hotelprojekten» auf die Sehenswürdigkeiten des Kantons aufmerksam. Diese befinden sich eben auch mitten in der Natur oder zumindest fern von grösseren Städten. Seit 2017 gastiert das Bubble-Hotel, ein aufblasbares Gästezimmer, das freie Sicht auf den Sternenhimmel und die Umgebung bietet, an verschiedenen Standorten. Von Anfang an dabei war die Kartause Ittingen, dieses Jahr gibt es bereits fünf Partner, die zwischen April und Oktober ein Paket anbieten, teilweise inklusive Abendessen. Ein solches Himmelbett steht etwa im Rosengarten des ehemaligen Klosters St. Katharinental auf einem Holzpodest. Das Angebot wird gut genutzt, das Echo sei positiv und auch finanziell scheint die Rechnung aufzugehen, wie eine Medienverantwortliche von Thurgau Tourismus berichtet.

Inspiration dafür war ein Konzept des Künstlerduos Frank und Patrik Riklin. Die beiden Konzeptkünstler haben ihr Langzeitprojekt «Null Stern Hotel» zusammen mit dem Hotelexperten Daniel Charbonnier 2016 radikalisiert und mit «Zero Real Estate» eine Landversion entwickelt – «immobilienbefreite Hotelzimmer» ohne Dach und Wände. 2018 lancierten sie das Konzept als kollektive Performance in der Tourismusdestination Ostschweiz. Das Projekt ist mehr als nur ein Pop-up-Gag, sondern eine ernst gemeinte Massnahme. Mehrere lokale Tourismusdestinationen in der Ostschweiz können so eine eigene Interpretation des Zimmers im Freien anbieten. Auch der Schweizer Laufschuhe-Hersteller «On» setzt auf Natur als Trägerin der Markenbotschaft. Die von Thilo Alex Brunner (Head of Design bei On) entworfene Hütte aus nachhaltigen Materialien stand letztes Jahr im Engadin zwischen dem Piz Lunghin und dem Lunghin-Pass.

Kultureller Mehrwert

Demgegenüber kann es im vielschichtigen urbanen Kontext interessant sein durch Zwischennutzungen, leer stehende Gebäude mit Inhalten zu beleben und damit zur städtischen Vielfalt beizutragen. Ob das allerdings immer ein Konsumangebot sein muss, sei dahingestellt. Gerade der Lockdown hat gezeigt, wie sich Menschen den öffentlichen Raum auf unkonventionelle und kreative Art aneigneten. Solche Sondersituationen könnten auch ein Denkanstoss sein. Etwa dazu sich die Frage zu stellen, welche Rolle Zwischennutzen für Stadtteil-Entwicklungen spielen. Welche zeitlich befristeten Nutzungsmöglichkeiten führen zu einer Aufwertung von Öffentlichkeit und zu einem Bewusstsein für den Wert von Stadt als gemeinschaftlichem Raum? Die Verbindung von Kulturangebot und Zwischennutzung kann eine Aufwertung des öffentlichen Lebens sein. Ein solches Projekt ist «Hallo Chur», das bereits früher kleine Veranstaltungen organisierte. Letztes Jahr stiessen die Initiatoren auf eine leer stehende Liegenschaft beim Bahnhof Chur, die abgerissen werden soll. Sie fragten die Besitzer an, ob sie das Haus befristet mieten können. So entstand ein Pop-up-Kulturhaus, das zwischen Frühling und Herbst ein reichhaltiges Programm anbot. Da ein Grossteil des Programms dieses Jahr wegen Corona gestrichen werden musste, kam spontan die Idee für eine Gartenbeiz auf, die nun vom «Hallo Chur»-Team je nach Zeit und Lust betrieben wird. Manchmal entstehen temporäre Nutzungen ganz unkompliziert und auf Initiative der Bevölkerung.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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