Architektur Forum Ostschweiz

Eine Landschaft, die nie fertig ist – die Re­na­tu­rie­rung des Inns bei Bever

Vielfach wurden Flüsse im Alpen­raum begra­digt und zwischen hohen Däm­men eingezwängt. Wert­volle Auen­land­schaften gingen so ver­loren. Doch in der Engadiner Ge­meinde Bever hat der Inn wieder Raum er­halten. Das kommt der Natur zu­gute, nutzt aber auch dem Hoch­wasser­schutz.

Beitrag vom 27. Juni 2025

Text: Rahel Lämmler

  • Bild zum Beitrag Die natürlichen Flusslandschaften des Alpenraums bestehen aus Auen, Kiesbänken, Inseln und Nebenläufen. Sie verändern sich ständig und sind Lebensraum zahlloser Tier- und Pflanzenarten.
  • Bild zum Beitrag Die Wiederherstellung einer natürlichen Flusslandschaft bot nicht nur den besseren Hochwasserschutz, sondern wurde auch mit Subventionen gefördert
  • Bild zum Beitrag Schweizweit sollen bis 2090 rund 4000 Kilometer Fliessgewässer renaturiert werden.
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  • Bild zum Beitrag Die wiederhergestellten Innauen sind auch zum Naherholungsgebiet für die Bevölkerung geworden.
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Der Inn ist nicht nur einer der läng­sten Alpen­flüsse und durch­fliesst drei Länder, sondern ist auch namens­gebend für das Engadin: Aus den rätoro­manischen Worten En (Inn) und Giar­dina (Garten) setzt sich der Name Engiadina zusammen – der Garten des Inns. Beson­ders das Ober­engadin, mit seiner weiten Seen­platte und den mäan­drierenden Fluss­läufen vor impo­santer Berg­kulisse, ver­körpert diesen Namen in ein­drucks­voller Weise. Das klare Licht lässt Wasser, Felsen und Wälder in unge­wohnter Schärfe und berüh­render Leucht­kraft er­scheinen – und ver­leiht der Land­schaft eine stille, fast magische Präsenz. Doch die Idylle trügt. Seit jeher kämpfen die Menschen gegen Hoch­wasser und Natur­gewalten.

Im Gebiet der Gemeinde Bever führten wieder­kehrende Über­schwem­mungen dazu, dass der Inn 1962 in ein kanali­siertes Fluss­bett ge­zwängt wurde. Über 35 Jahre sorgten die Däm­me zuver­lässig für einen Schutz der an­gren­zenden Land­wirtschafts­flächen. Doch die Bau­werke kamen in die Jahre: Risse bildeten sich, in denen zwar Kreuz­ottern wert­vollen Unter­schlupf fanden, doch gleich­zeitig unter­grub die Ero­sion zu­neh­mend das Funda­ment. Eine Sanierung war unaus­weich­lich. Ob­wohl der Inn als zusam­men­hängen­der Natur­raum über 500 Kilo­meter eine Ein­heit bildet, ob­liegt die Zu­ständig­keit der je­weili­gen Ge­meinde.

Die her­köm­mliche Lösung – die Däm­me sanieren und er­höhen – wäre nicht nur teuer und für die Gemeinde kaum trag­bar ge­wesen, sondern hät­te auch die Land­schaft weiter zer­schnit­ten. Ein anderer Ansatz mus­ste gefun­den werden – eine Re­vitali­sierung ver­sprach nicht nur bes­seren Hoch­wasser­schutz und eine öko­lo­gische Auf­wertung, sondern wurde auch von Bund und Kanton sub­ventio­niert.

Vorbilder fehlten noch

Verschiedene Studien mit unter­schied­lichen Schwer­punkten führten zwischen 1998 und 2005 zu einer An­näherung an das Projekt: von der funktio­nalen Tren­nung von Wander- und Velo­wegen, über öko­logische und gesel­lschaft­liche Vor­teile und Mehr­werte bis zu um­fassen­den Re­vitali­sierungs­szen­arien.

2007 war die Zeit reif – der Ge­meinde­vor­stand ver­gab den Auf­trag zur Ent­wicklung eines Re­vitali­sierungs-Kon­zeptes einer inter­diszipli­nären Pla­nungs­gemein­schaft be­stehend aus dem Ingen­ieur­büro für Fluss- und Wasser­bau Hunziker, Zarn & Partner, dem Fach­büro für Umwelt­fragen und Wasser­bau Auin AG (vor­mals Fach­büro für Umwelt­fragen eco­wert) so­wie dem Ingen­ieur­büro für Wasser­bau und Gewässer­revitali­sierung Eichen­berger Re­vital SA. Da es um mehr als um Wasser­bau ging, wurden die wich­tigs­ten Akteur:in­nen ein­bezo­gen: kanto­nale Stel­len, Natur­schutz­organisa­tionen, Vertreter:in­nen der Land­wirt­schaft und des Tou­rismus, der Ge­meinde sowie das Amt für Natur und Um­welt Grau­bünden. Das parti­zipa­tive Vor­gehen war essen­ziell für die spätere Akzep­tanz. Im Mittel­punkt standen nach­haltige Lebens­räume für Flora und Fauna, der Er­halt land­wirtschaft­licher Nutz­flächen, die Schaf­fung eines Nah­erholungs­gebiets, trag­bare Projekt­kosten so­wie ein ein­facher Unter­halt.

Impuls für andere Ge­meinden

Die Revitali­sierung der Inn­auen fand in zwei Etap­pen zwischen 2012 und 2021 statt. Mit viel Für­sorge wurde vor Be­ginn der Bau­arbeiten alle Kreuz­ottern ein­ge­fangen und um­gesiedelt. Im ersten Schritt er­fuhr das Fluss­bett zwischen dem Ein­lauf des Beverins und der Isellas­brücke auf der oro­graphisch linken Seite eine Ver­breiterung und in der zweiten Etap­pe von der Isellas­brücke bis zur Gemeinde­grenze auf der rechten Seite. Neue Däm­me sind nun so­weit zurück­ver­setzt, dass die be­stehen­den Auen­wäldchen und Binnen­gewässer ins Fluss­bett inte­griert sind und bei Hoch­wasser ge­flutet werden.

Das revidierte Gewässer­schutz­gesetz (GSchG) von 2011 ver­folgt unter an­derem das Ziel, die natür­liche Funk­tion der Gewäs­ser in der Schweiz wieder­her­zu­stellen und zu er­halten. Es mar­kiert einen wichtigen öko­lo­gischen Paradig­men­wechsel im Um­gang mit Flüs­sen, Bächen und Seen. Ver­schiedene Fluss­läufe oder Ufer sind mittler­weile renatu­riert. Bis ins Jahr 2090 sol­len in der Schweiz rund 4000 Kilo­meter Fliess­ge­wässer öko­logisch revitali­siert werden – ein ambitio­niertes Ziel.

Fischotter, Biber und Fluss­ufer­läufer

Die Breite des Fluss­betts be­trägt heute an­stelle von 15 Metern zwischen 90 und 200 Metern. Die Kosten für die Re­vitali­sierung be­liefen sich auf stat­tliche 12 Milli­onen Franken, die Sa­nierung wurde da­mals auf 700'000 Fran­ken ge­schätzt . Davon über­nahmen das Bundes­amt für Um­welt, das Amt für Natur und Um­welt Grau­bünden, Pro Natura Schweiz, der Fonds Land­schaft Schweiz, der natur­made star-Fond der Elek­trizi­täts­werke der Stadt Zürich ewz sowie die Ernst Göhner Stif­tung den grös­sten Teil.

Ein Besuch der Inn­auen lohnt sich. Als Ausgangs­punkt für einen Spazier­gang em­pfiehlt sich die 2014 neu er­stellte Fuss­gänger­brücke über den Inn am nörd­lichen Ende des Lej da Gravatscha und bei der Beverin­mündung. Von hier ist der Kon­trast der beiden unter­schied­lichen Land­schafts­räume plaka­tiv erleb­bar: süd­seitig ist der Inn immer noch zwischen Däm­men ge­führt. Auf der Nord­seite hin­gegen brei­tet sich der Fluss in einem offenen, viel­fälti­gen Raum aus. Er mäan­driert, formt Kies­bänke, schafft Inseln und ver­ändert sich laufend. Der neue ein­seitige und nie­drige Damm trennt kaum noch. Nun lebt der pitto­reske Fluss­raum in einem Ab­schnitt von zwei Kilo­metern von einer hohen Bio­diversität und der Eigen­heit des Wasser als be­wegendes Ele­ment ohne Still­stand mit fort­währender Ver­änderung. Was hier ent­standen ist, wirkt natürlich und wenig tech­nisch, nur die Info­tafeln am Weges­rand zeugen davon, dass hier durch mensch­liches Planen und Handeln ein neuer Lebens­raum geschaf­fen wurde.

Die Revitalisierung des Inns bei Bever ist ein Parade­beispiel dafür, wie ein Fluss seine ur­eigene Dynamik zurück­erhält – zur Freude von Ein­heimischen, Gästen und einer wieder­erstarkten Arten­vielfalt. So leben hier wieder Fisch­otter-Paare und auf den Kies­bänken brüten die seltenen Fluss­ufer­läufer und Fluss­regen­pfeifer. Sogar ein Biber ist hei­misch ge­worden.

Bildnachweis

Elisa Florian

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