Architektur Forum Ostschweiz

Mutig und visionär

Es ist beein­druckend, wie das Kino Apollo in Kreuz­lingen nach seiner Schlies­sung als Licht­spiel­haus weiter­hin eine Rolle im kultu­rellen Leben spielt. Der his­to­rische Ort er­möglicht krea­tive Be­gegnungen und bietet Platz für Neues. Solche Initi­ativen sind ent­scheidend, um die kultu­relle Viel­falt und die Ge­mein­schaft in Städten zu för­dern.

Beitrag vom 27. Februar 2025

Text: Rahel Lämmler

  • Bild zum Beitrag Die Neonbuchstaben über dem Eingang stehen für die Rückkehr von Leben und Kultur in den fast 100-jährigen Bau.
  • Bild zum Beitrag Das Apollo befindet sich an einem Kreisverkehr nahe dem Bahnhof von Kreuzlingen auch heute noch in bester Lage.
  • Bild zum Beitrag Architektonisch überzeugt der Kinobau von Gottlieb Kugler auch fast ein Jahrhundert nach seiner Erstellung noch. Über der Strassenfassade prangen die Leuchtbuchstaben APOLLO.
  • Bild zum Beitrag Eine Zwischennutzung brachte neues Leben in das Baudenkmal. An der Bausubstanz wurden kleine Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten vorgenommen.

Der letzte Film, den ich in einem meiner Lieblings-Kinos gesehen habe, war «Ana­tomie d’une chute» mit der gross­artigen Schau­spielerin Sandra Hüller. Seit 1927 war das Licht­spiel­haus ein Ort der Zer­streuung für die Ar­beiter der um­liegenden Quartiere. Urspünglich als Stumm­film­kino mit Haus­kapelle betrieben, ermöglichte ein Umbau in den späten 1960er-Jahren Unter­haltung mit Heimat­filmen und bald auch Studio­filmen. Mir bleibt dieses Kino als offener und un­kompli­zierter Treff­punkt abseits der Norm bestens in Erin­nerung. 2024 verliert die Kultur­szene mit der Schlies­sung einen weiteren wichtigen Treff­punkt. Die Gründe für das landes­weite Kino­sterben sind viel­fältig und reichen von der er­heb­lichen finan­ziellen Ein­busse während der COVID-­19-Pan­de­mie, über attrak­tive Streaming-Dienste bis zu neuen kon­kurren­zierenden Frei­zeit­an­geboten.

Das Kino Apollo in Kreuz­lingen hat seine Türen bereits 1976 ge­schlossen, als sich Fern­seher end­gültig durch­gesetzt hatten und im nahen gele­genen Konstanz die Filme aktueller waren und günstiger zu kon­su­mieren. Für viele Kino­betreiber war zu­dem der tech­nische Wandel zu 70-mm-Format und zum Mehr­kanal­ton eine un­über­wind­bare Hürde. Einige ver­suchten sich mit porno­grafischen Filmen über Wasser zu halten, doch Ernst Gut­heinz, der Grün­der des Apollo, hielt un­beirrt an seinen hohen An­sprüchen fest. In den Jahren vor der Schlies­sung waren Gast­arbeiter­innen und -arbeiter, vor­wiegend aus Italien, das Ziel­publikum von Gut­heinz. In Konstanz wurden die Filme syn­chroni­siert in deutsch ge­zeigt, was für das Apollo eine will­kom­mene Markt­lücke be­deutete. Hier wurden sie «parlato in italiano» vor­ge­führt. Das Licht­spiel­haus avan­cierte zu einem wich­tigen Treff­punkt für die italie­nische Bevöl­kerung in Kreuz­lingen. Sie kamen, um unter Gleichg­esin­nten Bilder der Hei­mat zu sehen und das Heim­weh etwas zu be­sänftigen. Gut­heinz wählte die Filme immer gezielt aus. Mora­lisch ver­werf­liche Filme zeigte er nicht. Jugend­liche ge­hörten da­her eben­so zu seinem Stamm­publikum.

Fast ein Jahr­hundert lang prägte die Fa­milie Gut­heinz die Ge­schichte des Apollo. Der Vater Julius betreibt ab 1925 das Kino Bodan an der Haupt­strasse in Kreuz­lingen. Es exist­iert heute nicht mehr. Sein Sohn Ernst Gut­heinz führt den Kino­betrieb nach dem Tod seines Vaters 1928 zusam­men mit seiner Mutter Marie weiter. Hinter einer Lein­wand ver­steckt, be­gleitet er selbst die Stumm­filme auf dem Klavier. Das Geschäft lief auch mit diversen Investi­tionen in tech­nische Er­neuer­ungen so gut, dass 1932 das Kino Apollo an der Kon­stanzer­stras­se 32 von Bau­meister Gott­lieb Kugler ge­baut werden konnte. In Bahn­hofs­nähe und prä­gnant am Ver­kehrs­kreisel posi­tioniert, ist die Lage bis heute vorteil­haft.

Die Grund­züge und Haupt­merk­male des eleganten kubischen Bau­körpers sind auch nach beinahe 100 Jahren über­zeugend. Der zwei­geschos­sige axial­sym­metrische Kopf­bau orientiert sich mit zwei Ein­gängen und Schau­fenstern zur Kon­stanzer­strasse, während sich der Kino­saal parallel zur Rhein­strasse und rück­wärtig in den Garten er­streckt. Ein langes fili­granes Beton­dach fasst die Erd­geschoss­ele­mente zusam­men und akzen­tuiert zusam­men mit der drei­stufigen stein­erne Frei­treppe den Eingangs­bereich auf subtile Art und Weise. Alle Öff­nungen sind mit Kunst­stein­gewänden ein­gefasst und wohl pro­portioniert im bau­zeit­lichen Struktur­putz ein­ge­bettet. Auf der mittig erhöhten Front­mauer thronen die wirkungs­vollen Leucht­buch­staben APOLLO.

Nach der Schlies­sung 1976 ver­blieb das Bau­werk glücklicher­weise nicht nur in der Familie, sondern wurde auch von der Tochter bis zu ihrem Tod 2021 in der Woh­nung im oberen Ge­schoss be­wohnt. So wurde es in einem ersten Schritt der Spe­ku­lation ent­zogen. Mit wenigen Ein­griffen ge­lang der da­ma­ligen Eigen­tümerin das Film­theater als Trainings­halle für Karate, Aikido und Qi-Gong um­zu­nutzen. Der schräge Boden der Kino­be­stuhlung wurde ent­fernt und Duschen ein­gebaut. Der im­posante Vor­hang, deko­rative Leuch­ten, die charak­teristisch ondu­lierten Wände, die Kino­kasse und viele weit­ere bau­zeit­liche Ele­mente sind da­gegen er­halten ge­blieben.

Ein wich­tiger Schritt für das kollek­tive Ge­dächtnis war die Auf­nahme des Baus durch die Denk­mal­pflege des Kantons Thur­gau in das Hinweis­inventar 1993. Der dritte Glücks­fall war der Kauf der Liegen­schaft durch die Unter­nehmerin Barbara Haller vor drei Jahren. Zu­fällig hatte sie vom Ver­kauf er­fahren. Ihre Faszi­nation für alte Ge­bäude und die Be­ratung durch eine be­freundete Archi­tektin ver­halfen ihr zu einer raschen Ent­scheidung. Ohne genau zu wissen, wie sie die Liegen­schaft nutzen wird, hat sie sich sofort beworben – und den Zu­schlag er­halten. Was macht man nun mit einem sanierungs­bedürftigen Kino, einer Woh­nung und einem weit­läufigen Garten? Das Zauber­wort lautet: Zwischen­nutzung. Während das Dach ge­flickt, die Wände ge­strichen und klei­nere Repara­turen vorge­nommen wurden, kam im März 2023 die An­frage zur Teil­nahme an der viel be­suchten Kunst­nacht. Dies war die Wieder­belebungs­spritze und der Auf­takt als Zwischen­nutzung. Nach nur zwei Jahren hat sich bereits ein leben­diger Kultur­betrieb mit be­acht­lichem Pro­gramm eta­bliert. Haller be­schreibt diesen Pro­zess als einen span­nenden Weg von der Zwischen­nutzung zu etwas Unbe­kanntem, in dem sich Menschen inspi­rieren und Neues ent­stehen kann.

Im monat­lichen Kult-Kino werden in Ab­sprache mit dem Film­forum KuK Kult-Filme wie Pulp Fiction ge­zeigt. Im Saal mit ehe­mals 330 Plätzen sind je­weils 40-80 Leute zu­gegen, die Kultur-Bar wird eben­falls von einem breiten Publikum be­sucht, Kunst­ausstel­lungen und Kon­zerte be­reichern das viel­fältige Pro­gramm. Gast­spiele leis­ten einen wich­tigen Bei­trag in die Vereins­kasse. Sie werden sorg­fältig kura­tiert, das gei­stige Erbe von Ernst Gut­heinz lebt hier weiter. Der Kanton Thurgau und ins­besondere Kreuz­lingen sind be­kannt für eine leben­dige Kultur­szene. Das Apollo ist somit in bester Gesell­schaft und bietet Raum für Neues. Genera­tionen- und grenz­über­schreitend sei das Publi­kum wie auch die Mit­arbeiten­den, die den Verein tat­kräftig unter­stützen, er­gänzt Barbara Haller mit strah­lenden Augen. Die Neon­buch­staben auf dem Dach leuchten nun seit zwei Jahren auch wieder.

Bildnachweis

Ladina Bischof

Architektur Forum Ostschweiz Davidstrasse 40 9000 St.Gallen Maps ↗
076 345 16 93
Newsletter

Veranstaltungskalender-Abo

URL kopieren
Mitgliedschaft →