Architektur Forum Ostschweiz

Inspiration Gartenstadt

Im St.Galler Stadt­quartier Rot­monten hat das Frauen­felder Archi­tektur­büro Staufer & Hasler die Idee der Garten­stadt neu inter­pretiert und ihr eine zeit­gemässe Form ver­liehen. Rund um die vier Mehr­parteien­häuser zeigt sich beispiel­haft, wie Wohnen im Grünen heute möglich ist.

Beitrag vom 26. September 2024

Text: Nele Rickmann

  • Bild zum Beitrag Drei der vier neuen Wohnhäuser umstehen einen intimen Hof für die Bewohnerschaft. Das vierte fasst einen öffentlichen Platz.
  • Bild zum Beitrag Staufer&Hasler interpretieren mit der Wohnanlage an der Kreuzung von Seeblick-/Ludwigstr. das städtebauliche Prinzip der Gartenstadt neu und entwickeln eine zeitgemässe Version des Wohnens im Grünen.
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  • Bild zum Beitrag In Zeiten der Klimakrise sind ein ausgeprägter Bezug zur Natur und ein hohes Mass an Durchgrünung wieder gefragt.
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  • Bild zum Beitrag Statt aus Reihen- und Einfamilienhäusern besteht die Siedlung aus vier modernen Mehrparteienhäusern. Die Grünräume gehören der Gemeinschaft.

Rot­monten liegt erhöht auf dem Rosen­berg im Norden der Stadt St. Gallen. Das beliebte Quartier ist geprägt von frei­stehenden Wohn­häusern und weit­läufigen Gärten. Dass das Architektur­büro Staufer & Hasler in seinem Entwurf die Idee der Garten­stadt als zen­tralen Aspekt aufge­griffen hat, ist an diesem Ort kein Zufall: Bereits 1911 plante der Ror­schacher Archi­tekt Adolf Gaudy auf dem circa 70'000 Quadrat­meter gros­sen Areal die Garten­stadt Berg­halde. Nach moder­nen Prin­zipien beab­sichtigte man an diesem Ort eine Sied­lung zu er­richten, die den Menschen das Wohnen im Grünen ermög­lichen sollte und damit Ruhe, Hygiene und Gesund­heit ver­sprach.

Damit verfolgte Gaudy einen zu jener Zeit europa­weiten Trend. Grund­lage für dieses Phäno­men war die ur­sprünglich vom Briten Ebenezer Howard 1898 ent­wickelte Idee der Garten­stadt. Diese ist als städte­bauliche Ant­wort auf die sich während der Industriali­sierung verschlechtern­den Wohn- und Lebens­verhältnisse der Arbeiter­klasse sowie die steigen­den Grund­stücks­preise in den wachsen­den Gross­städten zu ver­stehen. Die zwei wich­tigsten Grund­prinzipien, nach denen Garten­städte funktio­nieren sollten, waren nach Howard eine genos­sen­schaftliche Organi­sation der Miet­parteien sowie ein gesicherter Zu­gang zum Grünen für die Bewohner­schaft.

In den darauf­folgenden Jahren wandel­ten sich die strengen Planungs­prin­zipien Howards, die er in seinem Buch «Garden Cities of To-morrow» fest­hielt. Erhalten blieb jedoch die Idee des Wohnens im Grünen. So wird der Begriff Garten­stadt heute oft synonym verwendet für besonders durch­grünte Stadt­quartiere. In der Schweiz boomte der Bau von Garten­städten um 1910. In St. Gallen befind­et sich die erste Garten­siedlung des Landes: 1913 stellte die Eisen­bahner-Bau­genos­senschaft die Siedlung Schoren fertig. Geplant wurde sie vom deutschen Archi­tekten Paul Robert Gerber.

Zeitgemässe Archi­tektur nach histo­rischem Vor­bild

Im Unterschied zur eben­falls von Adolf Gaudy geplanten Wald­gut­siedlung in Rot­monten konnte die nahe gele­gene und privat organi­sierte Garten­stadt Berghalde nur in Teilen fertig­gestellt werden. Bis heute zeugen einzelne Wohn­häuser und die städte­bauliche Setzung von der ur­sprüng­lichen Idee.

Um diese mit Per­spektive in die Zu­kunft zu führen, griffen Staufer & Hasler in ihrem Entwurf an der Kreuzung von See­blick- und Ludwig­strasse einige grund­legende Aspekte wieder auf. Jedoch kon­zentrierten sie sich nicht auf die für das Quartier typische Setzung von Reihen- und Ein­familien­häusern, sondern zeit­gemäss auf das inner­städtische Ver­dichten, das Wohnen im Mehr­parteien­haus und das Teilen von gemein­schaftlichem Grün. Auch Gaudy hatte dies Anfang des 20. Jahr­hunderts vereinzelt im Quartier und an eben­dieser Kreuzung vor­gesehen.

Drei der vier neuen Wohn­häuser um­fassen nun einen halb­öffentlichen Hof, der von einer grossen, über 70 Jahre alten Linde geprägt ist. Sie bildet das Herz­stück der natur­nah bepflanzten Grün­räume, die von den Neu­bauten ge­gliedert werden. Gestaltet wurden sie vom Büro Krebs und Herde Landschafts­architektur. Auf der gegen­über­liegen­den Seite der See­blick­strasse befindet sich das vierte Wohn­haus, dem ein öffentlicher Platz vor­gelagert ist. Beide Grün­räume sind ähnlich ge­staltet, werden aber unter­schiedlich genutzt: Der Hof mit Linde zeigt sich intim, ist eher Aufenthalts­ort für die Be­wohnenden; der Platz an der See­blick­strasse hingegen kann von der Nach­bar­schaft genutzt werden. Es gibt öffentliche Sitz­gelegen­heiten und eine Tisch­tennis­platte.

Den Erdgeschoss­wohnungen ist darüber hinaus je ein privater Grün­raum zu­geordnet, wohin­gegen die Wohn­ungen des oberen Ge­schosses wie auch des Dach­geschos­ses je eine Loggia oder einen Winter­garten besitzen. Auch die Volu­metrie der Häuser und Dächer, die von giebel­artigen Auf­sätzen ge­säumt sind, scheint von der ursprüng­lichen Idee Gaudys inspiriert, die in den Illustra­tionen zu seinem Text «Garten­stadt Berg­halde» dar­gestellt ist.

Balance zwischen Dichte und Freiraum

Charakteristisch für die Neu­bauten von Staufer & Hasler sind die Y-förmigen Holz­stützen, welche die Dach­giebel auf­zuspannen scheinen. Sie setzen sich in ihrer Materialität von den darunter­liegenden Geschos­sen ab. Deren gemauerte Fas­saden wurden einheit­lich weiss gestrichen, wobei einzelne Bereiche im Erd­ge­schoss wie Durch­gänge oder Eingangs­situationen durch das Ver­setzen der Steine mit einer schlichten Fassaden­orna­mentik hervor­gehoben wurden. An diesen Stellen zeigt sich ein besonders schönes Licht- und Schatten­spiel. Die rot­braune Farbe der Stoff­markisen und der Wände an den Loggien setzt darüber hinaus Ak­zente, die das gesamte Ensemble als eine Ein­heit wirken lassen.

Die Architekten schreiben auf einer der an den Eingängen der Wohn­siedlung ange­brachten Plaketten zum Projekt: «Die ‹richtige› Dichte wird gefunden, indem in Analogie zu den be­stehenden Gebäuden fein­gliedrige Bau­körper […] mit gross­flächigen Frei­räumen verbunden werden.» Dass nicht jede Wohnung einen privaten Garten­bereich besitzt, wider­spricht zwar der ur­sprünglichen Idee einer Garten­stadt, tut der Qualität der Neu­bauten jedoch keinen Ab­bruch. Ab­gesehen davon über­zeugt die Wohn­über­bauung in vielen Punkten, denn der Entwurf ist bewusst als Inter­pretation einer historischen Idee zu ver­stehen und führt das Prinzip «Wohnen im Grünen» mit zeit­gemässen An­sprüchen in die Gegen­wart.

Bildnachweis

Ladina Bischof

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