Eine neue Ära im Spitalbau
Viele Spitäler sind veraltet. Für die Erneuerung werden Milliarden ausgegeben. Das ist eine Chance, alte Dogmen zu überdenken und die Bauaufgabe neu anzugehen. Wie soll ein Spital aussehen, das die Heilungschancen für die Patienten fördert?
Beitrag vom 19. April 2014
Text: Gerhard Mack
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Die Zahl kann sich jeder merken: Knapp eine Milliarde Franken soll der Kanton St. Gallen für seine Spitalbauten bereitstellen. Damit steht er nicht allein. Der Kanton Thurgau wird zusammen mit seiner Spital Thurgau AG für die beiden Kantonsspitäler in Münsterlingen und Frauenfeld in den nächsten Jahren 350 Millionen Franken aufwenden müssen. Im Kanton Schaffhausen rechnet die Regierung mit Kosten von 240 Millionen Franken für den Neubau des Kantonsspitals. Und das Universitätsspital Zürich hat Um- und Neubauten im Volumen von 2,8 Milliarden Franken vor sich. Im Spitalbau steht ein Generationswechsel an. Die meisten Gebäude sind vierzig Jahre alt oder älter. Sie genügen in vielen Bereichen heutigen Standards nicht mehr. Und sie sprechen häufig von der Ideologie der Sechziger- und Siebzigerjahre, als Bettentürme und uniforme Stationen als Nonplusultra einer effizienten Organisation galten.
Heilungschancen fördern
Wenn nun um- und neu gebaut wird, geht es nicht nur um die neuen Anforderungen an Erdbebensicherheit oder um die Platzbedürfnisse neuer Geräte. In den nächsten Jahren besteht auch die Chance, alte Dogmen zu überdenken. Wie soll ein Spital aussehen, das die Heilungschancen für die Patienten durch seine räumliche Gestaltung fördert? Verschlägt es einem schon den Atem, wenn man das düstere Gebäude betritt oder wird Patienten der Eintritt durch eine freundliche Umgebung leichter gemacht? Signalisieren die Räume, dass man sich besser gleich aufgibt oder wird das Selbstvertrauen gestärkt?
«Wir schauen die betriebswirtschaftliche Seite immer genau an», sagt Urs Steppacher, stellvertretender Kantonsbaumeister und Leiter Gesundheitsbauten im Kanton Thurgau. Ein Spital ist aber keine Gesundheitsfabrik. Neben den Kosten sind auch die Erfordernisse der medizinischen Versorgung zu berücksichtigen. Und nicht zuletzt sind Spitäler Arbeitsplätze für Mitarbeiter und Pflegeorte für Kranke. Peter Altherr, der für Spitalbauten des Kantons St. Gallen zuständig ist, sagt: «Es geht um einfache Dinge, um Zwei-Bett-Zimmer statt der alten Mehr-Bett-Varianten, um Nasszellen in den Zimmern. Spitäler müssen schauen, dass sie näher an der Erwartungshaltung der Patienten liegen.» Diese Erwartungen verstärken den Wettbewerb. Das nationale Spitalgesetz von 2012 erlaubt den Patienten freie Wahl, ab 2017 müssen die Kantone 55 Prozent der Spitalkosten bezahlen, egal, wo sie anfallen. Da investiert man lieber in eigene Häuser, als die der anderen zu finanzieren.
Transparent trotz dicker Mauern
Wie gute Architektur aussehen könnte, zeigt in St. Gallen der kürzlich erstellte Trakt für Pathologie und Rechtsmedizin. Das Gebäude vermittelt zwischen dem Areal des Kantonsspitals und dem historischen Zentrum von St. Fiden. Mit der Verortung an der städtischen Schnittstelle verbinden die Architekten eine Ausrichtung an der Funktion. Hier werden Tote seziert und Gewebeproben entnommen. Labors und Büros nehmen einen grossen Teil der Fläche ein. Eine grosszügige Lounge bildet den Mittelpunkt des Gebäudes. Die Arbeitsplätze liegen an der Aussenfassade. Die Labors in der Gebäudemitte sind durch ein Fensterband zu den Fluren geöffnet. Das Gebäude wirkt trotz dicker Mauern und Türen transparent.
Hier erfährt man: Die Zukunft des Spitalbaus liegt nicht in der Standardisierung. Von dieser profitieren lediglich Planungsbüros, die Fertiglösungen aus der Schublade ziehen und gerne möglichst oft verwerten. Ein Gebäude, in dem Kranke gesunden wollen, sollte noch mehr als jedes andere auf den Ort und seine spezifische Funktion abgestimmt werden. Wie hilfreich das sein kann, zeigt das Rehabilitationszentrum für Rückenmark- und Hirnverletzungen, das Herzog & de Meuron 2002 in Basel realisiert haben. Hier halten sich Menschen bis zu 18 Monate lang auf, deren Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt ist, um sich auf ihre neue Situation einzustellen. Sie können nicht mehr frei in die Welt gehen. Also, sagten sich die Architekten, muss man die Welt zu ihnen bringen. Sie entwarfen das Zentrum als kleine Stadt, die Plätze, Wege und Höfe anbietet. Die Architekten bieten Abwechslung statt Routine. Sie schaffen eine Lebenswelt für die Patienten. Die Anlage ist nur zweigeschossig, unten sind die öffentlichen Bereiche und Behandlungsräume, oben liegen die privaten Zimmer. Sie haben halbrunde Glaskugeln im Dach, damit die ans Bett gebundenen Menschen auch im Liegen ein Stück Himmel sehen.
Private Träger im Vorteil
Dass viele Kantone, auch in der Ostschweiz, ihre Gebäude in private Trägerschaften überführen, muss kein Nachteil sein. Im Gegenteil, hat Christine Binswanger erfahren. Die Architektin betreut Spitalbauten bei Herzog & de Meuron: «Wir haben das Zentrum für einen privaten Träger gebaut und konnten dabei auch mit Ärzten, Therapeuten und Pflegepersonal sprechen, die das Haus nutzen. Das ist für alle von Vorteil. Und den Kostendruck hat man bei allen Auftraggebern. » Die Befürchtung, dass durch den Eigentümerwechsel die architektonische Qualität sinkt, kann sich auch Peter Altherr nicht vorstellen: «Die Bauvorhaben werden weiterhin ausgeschrieben, es wird Wettbewerbe und unabhängige Jurys geben. » Er sieht eher einen Vorteil in der Privatisierung: «Solche Projekte waren bisher sehr zeitaufwendig und schwerfällig.» Private Träger könnten schneller entscheiden. Und sie seien finanziell flexibler: «Die Spitäler können dann selbst bestimmen, wann und wo sie ausbauen. Von Sparübungen des Kantons sind sie weniger direkt betroffen.» Dann sollte zumindest von Seiten der Baubehörde einer hochwertigen Spitalarchitektur nichts mehr im Wege stehen.
Bildnachweis
Hanspeter Schiess