Architektur Forum Ostschweiz

Ein neues Kulturquartier für St.Gallen

Mit Lokremise und neuer Fachhochschule sind im Stadtteil hinter dem St. Galler Hauptbahnhof zwei Schwerpunkte gesetzt. Die Neugestaltung des Bahnhofplatzes eröffnet die Chance, die Geleise als Spiegelachse statt als trennendes Element zu nutzen.

Beitrag vom 11. Juni 2013

Text: Gerhard Mack

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ORT. Es war eine mutige Entscheidung: Als die historische Lokremise hinter dem Hauptbahnhof St. Gallen zur Nutzung frei wurde, entschied Regierungsrätin Kathrin Hilber als Vorsteherin des Departements des Innern, dass der Kanton sie für kulturelle Zwecke erwerben sollte. Zuvor hatte die Galerie Hauser & Wirth den Rund­bau ab 1999 gemietet und bis 2004 für Ausstellungen internationaler Künstler genutzt.

In dieser Zeit konnten Besucher erleben, welche Raumqualitäten das zuvor der Öffentlichkeit nicht zu­gängliche Gebäude im Innern entfaltet. Es war nicht nur der Groove eines alten, vor sich hin dämmernden Gemäuers, das bis 1911 als ein Pionierbau der Bahninfrastruktur errichtet wurde. Vielmehr bot die 6,5 Meter hohe Halle des grössten erhaltenen Ringdepots der Schweiz einen ungewöhnlichem Zuschnitt und besondere Lichtverhältnisse. Ein Badhaus und ein Wasserturm ergänzten die Lokremise zum Ensemble.
Mehrsparten-Zentrum

Das Projekt des Kantons zur Sanierung dieses Ensembles, das 2008 erfolgreich zur Abstimmung kam, sah vor, den 3000 Quadratmeter grossen Raum für mehrere Nutzungen zugänglich zu machen und nach den jeweiligen Bedürfnissen zu unterteilen. Dabei sollte die originale Atmosphäre der Lokremise soweit erhalten bleiben, wie es die Anforderungen erlaubten. Die architektonische Gestaltung übernahm das Zürcher Büro Isa Stürm & UrsWolff.

Im Zentrum sollte ein Restaurant die Besucher empfangen. Von hier aus konnten diese zum Spielbereich des Stadttheaters, zum Vorführraum des KinoK oder zur Ausstellungsfläche des Kunstmuseums gelangen. Drei zentrale Kulturformen sollten ein attraktives Mehrsparten-Zentrum schaffen, das in die ganze Ostschweiz ausstrahlt. Wie gut das gelungen ist, wissen die jährlich 165000 Besucher der Lokremise.
Stadttor West fehlt

Was das Projekt so zukunftweisend macht, ist aber nicht nur, dass es ein einmaliges Bauwerk für die Zukunft gerettet hat und in sich selbst stimmig ist. Wegweisend ist vielmehr der Impuls, den der Kanton damit für die Entwicklung des Areals auf der Nordseite des St. Galler Hauptbahnhofs gegeben hat. Das Gebiet hat historisch einen schweren Stand: Es ist die Rückseite des Bahnhofplatzes, der mit seinem Ensemble aus den beiden Bahnhöfen und der Post in der Schweiz ein baukünstlerisches Erbe ersten Ranges darstellt. Die Epoche der Stickerei-Zeit, die Schweizer Ausprägung des Jugendstils lassen sich an kaum einem Ort besser erleben als auf diesem Platz. Während hundert Jahre lang den Besuchern diese Visitenkarte der Stadt präsentiert wurde, hat man sich um das, was hinter den Geleisen passierte, nicht wirklich bemüht.

Dort lag ein Hinterhof im doppelten Sinne, wenn man an die Rosenberg- und die St. Leonhardstrasse denkt: Deren Bebauung zeigte zwar den Geist repräsentativer Bürgerlichkeit, sie wirkte aber wenig auf das Gelände zum Bahnhof zurück. Heute ist die Rosenbergstrasse eine Erschliessungsschneise für den Autoverkehr in Ost-West-Richtung. Die Leopard genannte Büroüberbauung zwischen St.Leonhardbrücke und Kreuzung Rosenbergstrasse erfüllt in keiner Weise die Aufgabe eines Stadttors am westlichen Eingang zur Innenstadt. Konzept entwickeln

Der Ankauf der Lokremise durch den Kanton und ihre kulturelle Nutzung waren ein erster Fingerzeig für ein neues Bewusstsein, das aus diesem Niemandsland einen öffentlichen Ort für die Bürgerinnen und Bürger machen wollte. Hier, mitten in der Stadt, stellte bisher einzig der Hogar Espanol ein gesellschaftliches Angebot zur Verfügung. Dabei ist das Potenzial des Ortes ungleich grösser: Die unmittelbare Anbindung an den Fernverkehr erlaubt es, grosse Personenmengen unkompliziert heranzubringen. Die Nähe der Busse garantiert eine einfache Erschliessung von Stadt und Agglomeration. Genutzt hat diese vorteilhafte Lage erneut der Kanton, als er beschloss, die Bereiche der Fachhochschule hier zu konzentrieren. 3000 Studierende und viele Angestellte kommen täglich hierher und beleben eine bisherige Schattenzone der Stadt.

Man mag nun einwenden, dass der gut 123 Millionen teure Bau von Giuliani-Hönger Architekten aus Zürich als solcher seine Qualitäten vor allem nach innen entfaltet, während er nach aussen mit dem breiten fünfgeschossigen Leib und einem leicht gedrehten Turm eher abweisend wirkt: Er drängt in die Breite und bietet in die Höhe keine attraktive Fassade, die mit dem Rathausturm auf der anderen Seite des Bahnhofs in einen lebendigen Dialog treten würde.

Gewiss hätte sich durch die Gestaltung des Erdgeschosses mit Shops und weiteren gastronomischen Angeboten die Rosenbergstrasse deutlicher als öffentlicher Raum animieren lassen. Man sollte solche Einwände aber nicht überbewerten. Entscheidend ist, dass es hier gelungen ist, einen zentrumsnahen Raum für eine öffentliche Nutzung zu retten.

Das derzeit freie Gelände gehört ebenfalls dem Kanton. Er hat es auf zwanzig Jahre den SBB für einen Park & Ride Parkplatz vermietet. Das ist zum heutigen Zeitpunkt vielleicht sinnvoll, es bietet aber auch Raum für weitere Entwicklungen. Voraussetzung dafür ist, dass die öffentliche Hand, der Kanton und die Stadt, ein Konzept für das gesamte Areal entwickeln und die öffentlichen Räume definieren, bevor man die Unterstützung privater Investoren sucht.

Spiegeln statt trennen

Wird dies versäumt, muss man herbe Verluste hinnehmen, wie es bei der Villa Wiesental geschehen ist. Das historisch schuüzenswerte Gebäude an der Kreuzung Rosenbergstrasse und St. Leonhardstrasse wurde dem Zerfall überlassen, bis es nicht mehr zu retten war. Die Parzelle soll nun mit dem Investorenobjekt «Stadt­krone» der Londoner Architekten Caruso St. John überbaut werden.

Nichts gegen privates Engagement bei der baulichen Gestaltung der Stadt! Ohne dieses geht es nicht. Es findet aber erst dann seine sinnvolle Rolle, wenn die öffentliche Planung vorausgeht und Parameter fürs Gemeinwesen setzt.

Dazu wäre es bei der weiteren Überbauung des HB Nord erforderlich, das Areal in einem grösseren Zusammenhang mit dem Bahnhofplatz zu denken. Die Geleise, die üblicherweise als Trennung erfahren werden, könnten zur Spiegelachse werden. Das historische Bauensemble würde seinen Widerhall in einer hochwertigen Architektur auf der anderen Seite finden.

Der Bahnhofplatz erhält durch einen gestalteten öffentlichen Raum auf der anderen Seite ein Pendant, das sowohl Fachhochschüler wie auch Stadt-Besucher mit attraktiven Angeboten zum Verweilen einlädt. Er könnte eine andere City Lounge werden, die zwischen der Lokremise und der Fachhochschule vermittelt. Vielleicht mit weiteren Restaurants und Bars, aber auch mit Geschäften, die ein Publikum anlocken, das nicht mit der Fachhochschule verquickt ist.

HB als Kulturbahnhof

Auf der Bahnhofseite könnte die Unterbringung der Bibliotheken im historischen Postgebäude ein Echo auf die Fachhochschule herstellen. Zwei Wissensinstitutionen fassen den Bahnhof wie edles Geschmeide eine kostbare Brosche und machen erst noch dem Anreisenden deutlich, wie sehr sich St. Gallen als Wissensstadt versteht. Ein Klein-Harvard zwischen dem Alpstein und dem Bodensee.

Der Bahnhof St. Gallen wäre nicht nur ein Scharnier zwischen Fern- und Ortsverkehr. Er würde vielmehr auch zu einer Art Kulturbahnhof, der die Altstadt und den Stadtpark mit seinen Museen und Spielstätten entlastet. Die Stadt St. Gallen erhielte eine kulturelle Doppelachse, welche dem Siedlungsband von Ost nachWest eine Balance geben könnte.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

Architektur Forum Ostschweiz Davidstrasse 40 9000 St.Gallen Maps ↗
076 345 16 93
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