Architektur Forum Ostschweiz

Ein Garten ist vor allem Atmosphäre

Mit seinen Grünanlagen und Plätzen prägte Tobias Pauli jahrzehntelang die Landschaftsarchitektur in der Ostschweiz mit. Heute pflegt er wieder den Garten seiner Kindheit und ordnet seine Erkenntnisse.

Beitrag vom 29. Mai 2017

Text: Ruedi Weidmann

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Tobias Pauli kam in einem Paradies zur Welt, einem Gehöft bei Cavigliano, das sein Vater, der Maler und Radierer Fritz Pauli, gekauft und mit Ateliers erweitert hatte. Im Rebberg am Ausgang des Onsernonetals verbanden sich subalpine Landschaft und subtropisches Mikroklima. Tobias’ Mutter, die Schneiderin und Vergolderin Elsi Meyerhofer, beschloss, den Weinberg in einen Park zu verwandeln. So wuchs Tobias in einer Gartenbaustelle auf. Die ausgeprägte Topografie, die üppige Vegetation, die Selbstverständlichkeit, mit der alte Tessiner Häuser im Gelände stehen, Vaters Malerblick darauf und Mutters aktiver Umgang damit schulten sein Sensorium für die Stimmung eines Ortes. In ihm wuchs die Idee, Gartenbauer zu werden.

In der Schweiz gab es keine Ausbildung für Landschaftsarchitektur. Pauli besuchte die Gartenbauschule in Genf. Sie lehrte die Biologie von Nutzpflanzen, Gemüse, Wein und Obstbäumen. Doch Pauli wollte gestalten! Nach der Ausbildung begann er seine Lehr- und Wanderjahre, die ihn weit herumführten. Die erste Stelle bot ihm 1962 sein Halbbruder Manuel an, der in Zürich Architekt war. 300 Meter neben dem Park seiner Mutter entwarf Pauli seinen ersten Garten. Danach holte ihn der damals führende Schweizer Gartenarchitekt Fred Eicher für drei Jahre in sein Büro. Die geraden Linien der modernen Architektur prägten Eichers Schaffen. Pauli arbeitete an einem seiner Hauptwerke mit, dem Friedhof Eichbühl in Zürich. Betonmauern und getrimmte Hecken definierten weite Terrassen mit rechtwinkligen Wasserbecken und breiten Promenaden. Bäume setzte Eicher als Monumente in die künstliche, atmosphärisch dichte Landschaft. An seiner nächsten Station, der Berner Stadtgärtnerei, entwarf Pauli Spielplätze, nützlich und robust. Dann ging er nach Amerika. In Kanada lernte er, Swimmingpools mit Trax und Spritzbetonkanone zu bauen, in Kalifornien Gärten mit einem Stecken direkt im Wüstensand zu entwerfen. Die Weite und die Unbekümmertheit waren wohltuend. Doch der Künstlersohn vermisste kulturhistorisches Bewusstsein, nahm ein Schiff nach Europa und schrieb sich an der Kunstgewerbeschule Basel ein. Er landete mitten in der Naturgartenbewegung, denn das Büro von Wolf Hunziker, wo Pauli Arbeit fand, leitete die Planung der «Grün 80».

Gärten für Menschen

Die Gartenbauausstellung war der Höhepunkt einer Volksbewegung gegen den Gartenbau-Mainstream, der in Einfallslosigkeit erstarrt war. Doch Pauli blieb skeptisch. Die Anti-Spiesser-Haltung schien oft wichtiger als eine ernsthafte Beschäftigung mit Ökosystemen. Und Teich, Schilf und Magerwiese waren für Pauli noch kein Garten. In Basel gestaltete er den Theaterplatz mit dem Tinguely-Brunnen. Pauli zog ins Toggenburg, gründete eine Familie und machte sich selbstständig. Nun war postmoderne Gestaltung angesagt. Pauli komponierte einige symbolisch aufgeladene Privatgärten aus neoklassizistischen Fragmenten. Er bezeichnet sie heute als seelenlos. Die Postmoderne zertrümmerte versteinerte Ansichten, bot aber kaum Inspiration für Neues. Diese fand Pauli im gesellschaftlichen Engagement. Mit seiner damaligen Frau machte er das Restaurant Bahnhalle in Lichtensteig zu einem Kulturort und zum Domizil für das Chössi-Theater, und an der Internationalen Bauausstellung 1987 in Berlin erarbeitete er mit hartgesottenen Kreuzberger Hausbesetzern eine Quartierentwicklung.

Pauli gewann nun Wettbewerbe und erhielt öffentliche Aufträge. Er gestaltete mit mehreren Generationen von Mitarbeitenden in der Stadt St. Gallen sechs Schulhausanlagen und die Aussenräume von Wohnsiedlungen, dazu öffentliche Räume in zahlreichen Gemeinden, Friedhöfe in Rapperswil-Jona, Gossau, Altstätten und Pfäfers, die Gärten der psychiatrischen Kliniken Pfäfers, Wil und Littenheid, dazu Kasernen und Gefängnisanlagen. Das gemeinsame Planen mit Auftraggebern, Architekturschaffenden und Gärtnern faszinierte ihn genauso wie räumlich, finanziell oder politisch kniffelige Situationen. Etwa der Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen. Hier liess er stramme Eichen in Reih und Glied in die Kasernenhöfe pflanzen und Zitterpappeln in die Umgebung – ein Bild für zwei seelische Zustände der Rekruten. Aber vor allem wertete er das grosse Übungsgelände mit den Landwirten in einem jahrelangen Prozess ökologisch auf. 1996 zog Pauli in die Stadt St. Gallen.

Respekt für den Ort und seine Atmosphäre

Die Arbeit begann immer mit einer Analyse: Was ist vorhanden? Wie ist die Stimmung? «Das Chassis eines Gartens muss sitzen», sagt Pauli. «Es entsteht aus der Topografie, der Wegführung, Mauern, Bäumen, Hecken und Büschen. Dann gilt es, die Atmosphären der einzelnen Bereiche zu entwickeln.» Immer häufiger verstärkte er Stimmungen, die er vorfand, und integrierte vorgefundene Elemente in seinen Plan. Respekt ist wohl das Schlüsselwort zu Paulis Werk. Respekt für einen Ort, seine Stimmung, seine Funktion für die Menschen und seine Geschichte. Immer besser gelang es ihm, mit möglichst wenig Gestaltung möglichst viel Atmosphäre zu schaffen. Seine jüngsten Anlagen wirken, wie wenn sie schon immer so gewesen wären. Ohne Inszenierung, ohne Design, strahlen sie Ruhe und Beständigkeit aus. Die neue Kantonsschule Heerbrugg zum Beispiel steht mit ihren Betonsäulen direkt im Kies der Rheinebene – es ist fast der einzige Ort im Siedlungsbrei, wo die Ebene noch spürbar ist. Diese fast unsichtbare Handschrift mit starker Wirkung ist das Resultat von langer Arbeit und Erfahrung. Sie machte Pauli zum Spezialisten für Erneuerungen. Im Pausenhof der Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen verstärkte er mit einigen Pinien und der Renovation des Brunnens eine überraschend mediterrane Stimmung. Im Park der psychiatrischen Klinik Littenheid liess er viele Bäume fällen und holte das Sonnenlicht auf den Boden zurück. In Pfäfers gestaltete er von 1999 bis 2011 die Gärten der psychiatrischen Klinik neu. Jedes Jahr entstand ein neuer Aussenraum: die historischen Torkelterrassen, eine Gartenwirtschaft mit Brunnenbecken, ein Wegnetz über die Hügel oder der Klosterhof, jeder mit viel Respekt für den Ort, eigener Atmosphäre und viel Potenzial für mögliche Nutzungen. – Einen Garten aber hat Tobias Pauli immer für sich behalten: den elterlichen Park in Cavigliano. Letztes Jahr hat der Über-Siebzigjährige sein Büro seiner Geschäftspartnerin übergeben. Jetzt hat er Zeit, zusammen mit seiner jetzigen Frau den Ort zu pflegen, wo alles begann.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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