Architektur Forum Ostschweiz

Den Berg in Szene setzen

Das Gipfelgebäude auf dem Chäserrugg von Herzog & de Meuron ist ein kleines Meisterwerk. Das Holzhaus zeigt exemplarisch, was Architektur auf dem Berg zu leisten vermag – abseits von Attraktionen wie Rodelbahnen oder Murmeltierparks.

Beitrag vom 15. August 2015

Text: Martin Tschanz

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Für einen Architekten ist es reizvoll, eine Gipfellandschaft zu gestalten und dabei Kultur und Natur durch ein Gebäude miteinander in Beziehung zu setzen. Trotzdem sind gelungene Bergstationen, die von Architekten gestaltet worden sind, selten. Die technischen, betrieblichen und nicht zuletzt die ökonomischen Anfor­derungen sind bei dieser Bauaufgabe äusserst hart.

Berghäuser sind nicht nur Maschinen der Seilbahntechnik, sondern auch der effizienten Gäste­be­wirt­schaftung, zumal wenn im Winter Skifahrer bedient werden sollen. Sie müssen extremen klimatischen Bedingungen trotzen, Stürmen und Schneever­wehungen ebenso wie grosser Hitze. Und nicht zuletzt ist der Bauprozess aufgrund der teuren und komplizierten Materialtransporte und der natur­gegebenen kurzen Zeitfenster, die zur Verfügung stehen, äusserst anspruchsvoll.

Eigenheiten des Bergs nutzen

Wenn Berghäuser überwiegend technisch-pragmatisch gebaut werden, liegt das aber auch an Bauherren, die sich nicht vorstellen können, dass Architektur mehr zu leisten vermag, als spektakulär und teuer zu sein. Das Berghaus auf dem Chäserrugg beweist nun aber genau das. Es nutzt geschickt die Eigenheiten des Bergs, so dass dieser selbst zu einem intensiveren Erlebnis wird. Architektur ist hier nicht bloss eine Attraktion auf dem Berg und damit in derselben Rolle wie jene unsäglichen Rodelbahnen oder Murmel­tier­parks, mit denen die Touristik­experten die Gipfel bestücken und oft genug auch verunstalten.

Das Haus geht vielmehr eine Symbiose ein mit dem Berg, den es für den Besucher ins Werk setzt. Dass es dabei auch als Baukunst attraktiv ist, kommt erst in zweiter Linie dazu. Herzog & de Meuron verlängerten die bestehende Seilbahn­station um Küche und Nebenräume. Die neue Gaststube schlossen sie im rechten Winkel dazu an, so dass sie als langer, schmaler Raum längs auf jenem Rücken zu liegen kommt, der dem Berg seinen Namen gegeben hat.

Auf dem Berg verankert

Dadurch entstand eine T-förmige Anlage, in der die lange, bis ins Tal hinunter führende Linie der Seilbahn zu einem präzisen Abschluss findet. Ein mächtiges Satteldach legt sich wie eine schützende Hand über das Ganze. Als würde es sich am Grat festhalten, verankert es das Haus und damit die ganze Bahn auf dem Berg. Gleichzeitig begleitet es den Weg des Besuchers über die Kuppe hinweg und macht so die asymmetrische Form des Berges erlebbar.

Wenn man die Gondel und den stählernen Bereich der Bahnstation verlässt, findet man sich in einer hölzernen Welt wieder. Von einer hohen, geschützten Vorhalle aus kann man den Berg betreten und im Winter die Piste in Angriff nehmen. Oder man folgt der Richtung von Raum und Dach und betritt das Restaurant.

Der Raum führt das Auge

Die lange oder vielmehr unendlich breite Gaststube wirkt mit ihren verglasten Stirnseiten wie ein optisches Instrument, das die breit gelagerte Ausdehnung des Berges in Szene setzt. Zunächst wird der Blick allerdings quer durch den Raum geführt. Das tief nach unten gezogene Dach lenkt die Aufmerksamkeit auf die verglaste Breitseite und über die vorgelagerte Terrasse hinweg nach unten, in Richtung Walensee. Die hohe Rückwand auf der gegenüberliegenden Seite gibt dem Raum den notwendigen Rückhalt. In den tiefen Nischen, die in sie eingelassen sind, geht der Ausblick gelenkt und von einem Fenster gerahmt in Richtung Alpstein. Die Gaststube öffnet sich also nach allen vier Himmelsrichtungen, allerdings nicht als Rundum-Panorama, sondern indem sie jede Seite ihrem Wesen gemäss in Szene setzt.

Obwohl der grosse Raum nur wenig gegliedert ist, wirkt er nicht mächtig. Die kräftige Holzkonstruktion schafft einen vertrauten, klein­mass­stäblichen Rhythmus und sorgt dafür, dass die Raumtiefe prägender bleibt als die Länge. Überdies bieten die intimen Separees, in denen je ein grosser Tisch Platz findet, eine willkommene Rückzugsmöglichkeit – und doch bleibt alles unter einem Dach. Das schafft eine einzigartige Atmosphäre von Grosszügigkeit und Gemütlichkeit zugleich. Obwohl nur wenig an traditionelle Hütten erinnert, entsteht jenes Gefühl von Zusammengehörigkeit, das für Berghäuser charakteristisch ist.

Dazu passt das solide und praktische, aber auch elegante Mobiliar. Herzog & de Meuron haben das Haus ohne Betriebsunterbruch der Seilbahn gebaut und die Materialien fast ausschliesslich mit dieser auf den Berg gebracht. Das war möglich, weil sie die bestehende Station in den neuen Holzbau integriert haben. Dieser spricht eine verständliche Sprache. Man sieht, wie die hölzernen Stützen auf Sockeln stehen und die Balken tragen, auf denen sekundäre Träger und das Dach aufliegen, und die betonierte Bodenplatte ragt gerade so weit heraus, als sie deutlich macht, dass auf 2262 Metern über Meer eine horizontale Fläche keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein aufwendiges Konstrukt. Selbst wenn an den Spitzen des Daches die Sparren nur einseitig aufliegen und damit zeigen, dass das Tragwerk doch nicht völlig konventionell ist, glaubt man doch, die Konstruktion zu verstehen.

Sprechende Konstruktion

Ein Sockel, ein Dach, ein Haus. Die Dinge sind hier auf beruhigende Weise, was sie sind. Das heisst nun aber nicht, dass sie nicht auch über sich hinaus weisen würden. Das grosse, bergende Dach zum Beispiel erinnert mit seinen Aufbauten von oben betrachtet an die mächtigen Schindeldächer der Waadtländer Alpen. Von unten jedoch sieht man einen weit ausgebreiteten Flügel, leicht und offen, als wolle er den Gleitschirmen Konkurrenz machen. Oder jene Einschnitte in der Wand, durch welche die Kabinen in das Haus hinein fahren: Sie zeichnen klar und verständlich die technische Form der Gondel-Aufhängungen nach.

Und doch erinnert ihre prägnante, symmetrische Gestalt auch an die Klanglöcher eines Musik­instruments, so dass plötzlich ein gewaltiges Instrument zu sehen ist, mit den Kabeln als ungeheuer weit gespannte Saiten. Ein leiser Gruss an das nächste wichtige Projekt der Region, das Klanghaus Toggenburg am Schwendisee.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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