Architektur Forum Ostschweiz

«Architektur ist mächtiger, als man denkt»

Wir bräuchten eine Demokratisierung des Bauens, sagt Architekt Thomas Hasler. Wie in Frauenfeld ein einzigartiges Wohnhaus entstand.

Beitrag vom 3. Mai 2022

Text: Elias Baumgarten

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Eine liebevoll ausgearbeitete Klinkerfassade, grosse Fenster und Pflanzen auf dem Dach wie eine Frisur – es ist ein echter Charakter, das neue Haus an der Frauenfelder Gaswerkstrasse. Der ausdrucksstarke Bau tut dem Quartier gut, das bisher nicht zu den gefragtesten der Stadt zählte. Und er ist ein Pionier: Auf dem Werkhof-Areal sollen weitere Wohnbauten entstehen. Das gelungene Bauwerk wurde vom einheimischen Architekturbüro Staufer & Hasler entworfen. Thomas Hasler erwartet uns bereits …

Wie kam es zu diesem Projekt?

Thomas Hasler: Durch glückliche Fügung und Eigeninitiative – das Projekt entstand aus Freundschaft und guter Nachbarschaft: Wir wohnten schon länger in einem Haus des Architekten Johann Joachim Brenner (1815–1886) nebenan und haben das Quartier und seine Menschen lieb gewonnen. Da bot sich die Möglichkeit, das Grundstück mit dem Einfamilienhaus samt Werkstatt darauf zu kaufen. Der Vorbesitzer hatte ein lebenslanges Wohnrecht erhalten. Nach seinem Tod begannen wir mit der Planung des Neubaus. 2021 schliesslich wurde das Haus fertiggestellt.

Sie waren nicht nur Architekt, sondern auch Teil der Bauherrschaft. Jetzt wohnen Sie selber in dem Haus. Wie hat sich diese Konstellation auf ihre Arbeit ausgewirkt?

Wir haben von dieser Ausgangslage profitiert. Wir konnten Lösungen entwickeln, die mit einem Investor nur schwer möglich wären. Beispielsweise entstanden aufgrund der Split-Level-Anordnung in den Wohnungen verschiedene Niveauunterschiede: In den unteren Geschossen steigt man fast ein ganzes Geschoss nach oben, um in eines der Schlafzimmer zu gelangen, in den oberen sind es dagegen nur zwei Stufen. Das ergibt ein völlig neues und individuelles Wohngefühl. Alle Wohnungen sind bis ins Detail ausgestaltet. Jede hat eine eigene Farbigkeit, immer gibt es einen Bezug zum Aussenraum – über Balkone, Terrassen oder Wintergärten. Wir haben, und das freut mich als gelernter Schreiner besonders, sorgfältige handwerkliche Lösungen, etwa für die Schalungen der Betonteile oder für die Holzarbeiten, entwickeln können. Einen besonderen Stellenwert hat auch der grosse Garten, der aufgrund der kompakten Bauweise freigehalten werden konnte. Direkt am Fluss können Apéros stattfinden, man kann grillieren oder im Regenwasserbrunnen ein kühles Bad nehmen.

Warum wäre eine solche Gestaltung mit einem Investor kaum möglich?

Wir wollten mit unserem Haus einen Mehrwert für die Bewohner und das ganze Quartier schaffen. Denn als Architekten tragen wir soziale Verantwortung. Investoren haben da eher andere Zielsetzungen. Aber sie veranstalten regelmässig Architekturwettbewerbe. Für Sie kein Ausdruck eines Wunsches nach gestalterischer Qualität? Die Durchführung eines Wettbewerbs sagt über die am Ende erreichte Qualität noch nicht sehr viel aus. Oft verkommen solche Verfahren zu Hürdenläufen im Optimieren. Und das ergibt in aller Regel Mainstream. Investoren und allen voran die Pensionskassen sind leider oft von kurzfristigem Renditedenken getrieben. Unglücklicherweise ist es Privatleuten kaum noch möglich, aus Eigeninitiative zu bauen. Der Traum vom Eigenheim im Grünen ist weitgehend ausgeträumt und wo Investitionen heute wichtig wären, in innerstädtischen Verdichtungszonen nämlich, sind Private aufgrund fehlender Stadtplanung nicht handlungsfähig. An ihrer Stelle kaufen Investoren Grundstücke zusammen und entwickeln diese innerhalb komplexester baujuristischer Verflechtungen aufwendig. Das Resultat sind meist ziemlich monotone Baukomplexe. Das ist schade, denn viele Menschen sehnen sich nach guter und individueller Architektur und wären gerne bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um für Generationen etwas Nachhaltiges zu bauen. Leider bekommen sie nicht die Möglichkeit dazu. Das ist zutiefst undemokratisch.

Wie könnte man Abhilfe schaffen?

Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt bei den Städten und Gemeinden. Wir brauchen eine Demokratisierung des Bauens. Dazu müssen die Behörden ihre Arbeit machen und einfache baubare Regeln erlassen. Es wäre etwa dringend nötig, für zusammenhängende Gebiete klare und sinnvolle Baulinien und möglichst knappe Grenzabstände zu definieren, um Rechtssicherheit zu schaffen. Heute machen die Stadtplanung faktisch die Investoren – notgedrungen, denn nur sie besitzen die nötigen Ressourcen. Das sollten wir ändern. Dann wird es auch Einzelpersonen und Interessensgemeinschaften möglich, in Dörfern und Städten zu bauen.

Gibt es ein Beispiel dafür?

Wir haben in der Schweiz ein Positivbeispiel, das auch international bewundert wird: Monte Carasso im Tessin. Der Architekt Luigi Snozzi hat dort in den späten 1970er-Jahren ein einfaches und sehr liberales Baureglement entwickelt, das nun immer stärker greift. Ich habe den Ort eben wieder besucht: Inzwischen sind viele architektonisch sehr gelungene Häuser auf sehr kleinen Grundstücken entstanden. Das heisst: Eine Familie kann sich dort ein Haus leisten, und die soziale Struktur in der Gemeinde wird bereichert.

Es gibt aber auch in der Ostschweiz Gemeinden, die Hervorragendes leisten.

Klar, unsere Städte und Gemeinden sind bestrebt, gute Arbeit zu leisten, allein vielen fehlt es an Fachwissen und Visionen. Doch es gibt Entwicklungen, die Hoffnung machen: Gerade durften wir in Urnäsch die Schlüssel für das neue Gemeindehaus übergeben. Die Gemeinde hat sich entschieden, in Architektur zu investieren und ihren alten Bau zu ersetzen. Wir haben eine traditionsbewusste Bauform und Architektursprache gewählt, welche die Menschen verstehen. Das Haus wurde grösstenteils von einheimischen Handwerkern gebaut, das Holz stammt aus den Wäldern der Gemeinde. Urnäsch setzt mit diesem mutigen Projekt Impulse. Es hat Symbolkraft und stärkt die Identifikation der Leute mit ihrem Ort. Architektur ist mächtiger, als man denkt.

Bildnachweis

Hanspeter Schiess

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